Die Natur als zweiter Körper [Frankreich]

Über Naturismus und den Umgang mit unserem eigenen Körper | … enthält Werbung

Vor wenigen Tagen hallte es wie ein Donnerschlag durch die Presse: Das LWL-Museum Münster hatte 61 nackte Besucher zur Führung durch die aktuelle Ausstellung begrüßt. Die heißt passenderweise „Nudes“ und entstand in Kooperation mit der Tate, London.

Unerhört? Oder ganz natürlich?

Über „Nudes“ ist auf der Museumsseite ist zu lesen:

„Er fasziniert, er empört, er erregt und er inspiriert: der Akt. Er ist eines der ältesten und faszinierendsten Motive in der Kunst. Der unbekleidete Körper bietet geradezu unerschöpfliche Möglichkeiten, die Sicht des Menschen auf sich selbst, seine Ideale, Ängste und Träume darzustellen. Der Akt ist ein Genre, das sich immer wieder neu erfindet, um soziale, politische und ästhetische Belange zu transportieren. Ob privat, historisch, intim oder politisch …“

Dabei greift die Ausstellung auch Themen wie den männlichen Blick auf den nackten Frauenkörper auf oder die Frage nach Geschlecht und Identität.

„Warum also sollten die Betrachter dieser Kunstwerke dann bekleidet sein? Das wäre doch Voyeurismus?“,

konstatierte einer, der ganz ungeniert die Hüllen fallen ließ. Ein nackter Körper sei immerhin völlig natürlich. Nackte Besucher im Museum zumindest außergewöhnlich. Unangemeldet kamen die Herrschaften, die aus ganz Deutschland angereist waren, indes nicht ins Museum. Schließlich gibt es dort einen – wenn auch unausgesprochenen – Dresscode. In Münster organisierte man Sonderführungen abseits des verhüllten Publikumsverkehrs. Ein mutiger Akt.

Nudismus oder Naturismus? Getrieben vom Bedürfnis sich von gesellschaftlichen Korsetts zu befreien, entwickelte sich im 19. Jahrhundert die FKK-Bewegung. Mit unterschiedlichen und wechselnden persönlichen Ausrichtungen. Heute kennt man Nudismus, Naturismus und weitere Orientierungen. Die Differenzierung ist oft nuanciert. Eine Zuordnung nicht immer möglich. Die Besucher im Museum würde man Nudisten nennen. Menschen, die sich grundsätzlich gerne nackt bewegen. Denken wir an den US-amerikanischen Fotografen Spencer Tunick, der mit seinen temporären Installationen aus nackten Menschen seit Beginn der 1990er Jahre weltweit Beachtung findet, kann man mit Bestimmtheit sagen, dass die Bereitschaft, sich ungeniert nackt auch in Massen in der Öffentlichkeit zu zeigen, auf eine bemerkenswerte Anzahl Menschen zutrifft. Ein Rekord von rund 18.000 Nackten strömte etwa am 6. Mai 2007 auf den Zócalo, den großen Platz vor der Kathedrale der mexikanischen Hauptstadt. Tunick begreift seine Installationen als Landschaftsskulpturen. Um das LWL zu zitieren: „ … um ästhetische Belange zu transportieren.“

Bei sozialen oder politischen Protesten wird Nacktheit als Vehikel für ein hohes Maß an Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit genutzt. Aktivistinnen der feministischen FEMEN-Gruppierungen etwa, protestieren mit auf nacktem Oberkörper gemalten Parolen.

Wenn aber Nacktheit stärker akzeptiert wäre, taugte sie dann noch für Protest? Oder für Erstaunen und Empörung?

Naturisten – im Gegensatz zu erklärten Nudisten – sehen sich im Einklang mit der Natur. Hier steht nicht der nackte Körper im Vordergrund, vielmehr die unmittelbare, bewusste Verbundenheit mit der Natur. Haut, die von der Sonne wohltuend berührt oder vom Wasser umschmeichelt wird. Ein insgesamt achtsamer Lebensstil mit gesunder Ernährung, Körperhygiene und Bewegung gehören zur Philosophie. Viele Urlaubsanlagen für Naturisten liegen darum in besonderen Naturgebieten.

"Die Natur als zweiter Körper." Matthias, 65 Jahre, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie

France 4 Naturisme, Anbieter für familienfreundlichen Naturismus in privilegierten Naturgebieten Südfrankreichs, auf Korsika und nahe Paris, bemerkt dazu:

„Der Naturismus ist untrennbar mit dem Begriff des Respekts verbunden. Der Respekt vor sich selbst und dem eigenen Körper, der Respekt vor den anderen und schließlich der Respekt vor der Umwelt.“

Wer sich textilfrei in der Natur bewege, finde ein Mittel, um persönliche Erfüllung in der Natur zu erreichen. Freiheit und Toleranz, ein Miteinander seien motivierende Faktoren. Sich unbekleidet in naturnaher Umgebung zu bewegen, kann auch Ausdruck von Verzicht auf übermäßigen Konsum sein. Und unterstreicht die Idee einer nachhaltigen Lebensweise. Bleiben nicht auch dort, wo Kleidung fehlt, soziale Kontakte von Statussymbolen unbeeinflusst?

„Ich bin in der DDR groß geworden und sozialisiert. FKK war Teil der Kultur, weit verbreitet. Ich persönlich bevorzuge Textilstrände. In der Sauna aber FKK.“ Marc, Autor

Zu den Do’s und Dont‘s des Naturismus gehört, dass man nahezu uneingeschränkt unbekleidet herumlaufen kann. Setzt man sich irgendwohin, legt man aus Achtsamkeit vor anderen ein Textil auf die Sitzfläche. Wird es kühl, greift man selbstverständlich zu einem wärmenden Kleidungsstück. Kinder und insbesondere auch heranwachsende Jugendliche dürfen ihrem natürlichen oder sich während der Pubertät veränderndem Schamgefühl nachgeben und sich bekleiden. Toleranz gehört zu den wichtigsten Grundsätzen des Naturismus. Auch ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper gehört dazu, nicht zuletzt die Fähigkeit, individuelle körperliche Eigenschaften an sich selbst und anderen wertfrei zu betrachten.

„Wir fühlen uns angezogen wohl. Nackt fühlt es sich irgendwie ungeschützt an.“ Svenja, 27 Jahre und Luciano, 23 Jahre, beide Studenten
„Ich fühle mich ungeschützt, wahrscheinlich resultiert das aus der Tatsache, dass ich keine Berührung mit FKK habe. Weder in der Kindheit noch in meinem späteren Leben, auch nicht durch Freunde. So sehr ich die Natur liebe, ich fühle mich in Kleidung wohl. In die Sauna gehe ich selten, eigentlich nur, wenn es sich ergibt. Unwohl fühle ich mich dabei nicht, offenbar scheint mir das gewohnter, da ich es eben gelegentlich mache. Mit zunehmenden Alter fühle ich, wie sich die Haut und Figur verändert. Meine Freunde und Bekannte geben mir immer noch Feedback, dass ich sehr sportlich schlanke Beine habe, die ich jederzeit zeigen kann. Dennoch spüre ich eine Veränderung in mir. Meine Kleider und Röcke werden langsam länger.“ Susanne, Kommunikation, 58 Jahre

Ist der Umgang mit fremder Nacktheit schwieriger als der mit der eigenen? Fremde Nacktheit ist vielen ungewohnt. Sich vergegenwärtigen, anderen so zu begegnen, wie man es auch angezogen tun würde, ist ein guter Ansatz, unbefangen zu bleiben. Unter Naturisten ist ein Anstarren verpönt, vielmehr sieht man sich beim Gespräch in die Augen und hält einen für alle angenehmen Abstand.

„Ich war noch nicht an einem FKK-Strand. Mich zieht da auch nichts hin, weil ich mich in der gemischten Sauna schon unwohl fühle. Da komme ich mir wie ein Stück Fleisch vor. Wenn es Abschnitte nur für Frauen geben würde, würde ich da sicherlich anders drüber denken. Natürlich weiß ich auch, dass ich nicht alle Männer pauschalieren kann! Aber Dinge, die man nicht gern macht, macht man eben auch nicht wirklich.“ Nadine, 48 Jahre, Lehrerin

Wer der eigenen Nacktheit positiv gegenübersteht und sie häufiger zelebriert, ist zufriedener mit dem eigenen Körper. Das haben Forscher herausgefunden. Unter anderen sind die Evolutionsbiologin Melissa A. Toups und die Psychologen Charles Negy und Keon West überzeugt, dass wer sich öfter selbst ganz auszieht, dadurch auch ein besseres Körperbild und ein höheres Selbstwertgefühl bekommt. Selbst die Lebenszufriedenheit steige an.

„Ich bin auch gerne unbekleidet, nur finde ich die meisten Menschen bekleidet ästhetischer. Nackte Menschen wären mir in der Masse, glaube ich, ziemlich uninteressant. So genau will ich andere auch vielleicht gar nicht kennen. Außerdem hat Kleidung ja grundsätzlich einen Sinn: Die Menschen sind verletzlich geworden. […] Wenn man drüber nachdenkt, kann man vermutlich einiges über sich selbst lernen. Vielleicht muss ich FKK irgendwann mal ausprobieren – wenigstens, um zu sehen, ob meine Gedanken dazu überhaupt belastbar waren.“ Ben, Fotograf, 57 Jahre

Beim Naturisme sollen sich Menschen wohl fühlen. Großartige Natur und eine entspannte, freundliche Stimmung in den Anlagen, können dazu beitragen, dass sich auch „Neulinge“ schnell unbefangen bewegen. Das Gefühl von Naturisme lässt sich schwer beschreiben. Man probiert es am besten aus.

„Ich war als junger Mann in den 1990er in MeckPomm unvermittelt auf einem FKK-Campingplatz gelandet. Und ich muss zugeben, ich hab mich nicht wohlgefühlt. Danach bin ich nie wieder damit in Berührung gekommen!“ Thomas, 52 Jahre, Bibliothekar

Nackt sein bedeutet, verwundbar zu sein. Naturisme jedoch schafft einen sicheren Raum. Man kann dem anderen vertrauen, dass sie oder er einem achtsam begegnet und umgekehrt. Empathie schenken und empfangen. Im Alltag zuhause ist das möglicherweise nicht immer so.

Die Zitate zeigen, dass wir im Dialog über Freikörperkultur (FKK) oder Naturisme an sehr unterschiedlichen Positionen stehen. Sozialisation und Erfahrung haben uns geprägt. Für einige ist Naturisme mit einer erotischen Note verknüpft. Gerade das ist es jedoch nicht. Für andere ist Nacktheit vielleicht der letzte geschützte Bereich, den sie oder er exklusiv halten möchte. Absolut respektabel.

Dennoch. Warum nicht mit dem Textil einen ganzen Kosmos alter Gedanken und Gefühle ablegen, um sie gegen neue einzutauschen? In meinem Kalender ist ein Datum eingetragen. Ich habe mir einen Ort ausgesucht, wo ich einfach sein kann. Inmitten schönster Natur. Ich freue mich darauf.

Thema des nächsten Artikels: Wellness beim Naturisme

© Text: Jutta M. Ingala | Fotos: France 4 Naturisme

OFFENLEGUNG

Der obige Artikel ist in bezahlter Zusammenarbeit mit France 4 Naturisme entstanden. Die 1988 von Jean-Philippe Pavie und Pascal Leclère gegründete Gruppe ist führender Tourismusanbieter für FKK in Frankreich. Zum Portfolio gehören sieben Reiseziele mit 3 bis 5 Sterne-Campingplätzen in Südfrankreich, Korsika und Paris. Jedes Campingdorf liegt in einem privilegierten Naturgebiet am Fluss oder am Meer, in landschaftlicher Weite oder in den Bergen. Wohlfühlorte für familienfreundlichen Naturismus.

12 Gedanken zu “Die Natur als zweiter Körper [Frankreich]

  1. Eine unglaubliche Geschichte! Sehr amüsant, sehr interessant auch die Zitate. Ich finde mich da schon auch zurück. Also die Gedanken kann ich gut nachvollziehen. Aber die Landschaft und die Stimmung auf den Bildern spiegeln eine so entspannte Großartigkeit oder großartige Entspanntheit, dass ich sofort Teil davon sein möchte. Ich glaube, viele von uns sind zur Scham über den eigenen Körper erzogen. Im Sommer sieht man knappe Röcke, Shorts und Blusen, aus denen es nur so herausquillt und das ja gewollt, sonst würde sich niemand entsprechend kleiden. Aber in einem bezeichneten Raum, mitten in der Natur und unter Menschen, die die eigene Anschauung teilen und nicht mit voyeuristischen Motiven dort urlauben, soll es dann unangenehm sein? Darüber darf man sicher etwas länger nachdenken. Die Lektüre war mir ein Vergnügen!

    Herzlich, Bea

    • Herzlichen Dank, Bea! Es ist ein vielschichtiges Thema und unterschiedliche Meinungen dazu unbedingt hörens- und lesenswert und vor allem respektabel. Sofern sie ihrerseits respektvoll sind. Die Naturlandschaften, in denen die Locations von France4Naturisme eingebettet liegen machen unbedingt Lust, dort hüllenlos einzutauchen! Es ist ja auch, wie du schreibst: Orte, an denen sich Menschen mit gleicher unbefangener Haltung zur Körperlichkeit begegnen. Ich stelle es mir dennoch schwierig vor, bestimmte Vorstellungen und auch Vorbehalte einfach abzulegen. Es ist eine bewusste Entscheidung für Naturisme. Dann kann es zu einem schönen Erlebnis und einem entspannten Urlaub werden. Freue mich über dein Mitlesen und vielleicht schaust du auch für den dritten Artikel der Reihe wieder vorbei! Sonnige Grüße, Jutta

  2. Hallo Jutta, habe gerade beide Beiträge mit großem Interesse gelesen. Bin auf Instagram aufmerksam geworden. Sehr spannend. Vieles wusste ich nicht. Tolle Natur bei diesem französischen FKK-Anbieter. Wir machen immer mal wieder einen FKK-Strandtag und wir gehen ab und zu in die Sauna. Ich kann mir so einen Urlaub gut vorstellen.
    Einen Museumsbesuch so nackig aber nicht : )
    Gruß
    Daniel

    • Hallo Daniel, die Museumsaktion finde ich auch seltsam, dennoch mutig! Die Locations von France 4 Naturisme sehen tatsächlich traumhaft schön aus. Wenn die Bilder wohltun, wie mag es sich dann „in echt“ anfühlen? Freue mich, dass du mich hier gefunden, die Artikel gelesen und neue Inspiration gefunden hast. Vielleicht schaust du für Artikel 3 dieser Reihe wieder vorbei! Herzlich, Jutta

  3. Hallo Jutta,
    ich habe es ja schon unter den letzten Artikel geschrieben: Ich kann Scheu und Vorbehalte sehr gut verstehen. Die Menschen, die du zu Wort kommen lässt, erzählen davon. Ausprobieren!
    Gruß, Bernd

    (Lesegenuss)

    • Freue mich sehr, dass dich das Thema weiter interessierst und du hier mitliest, Bernd! Was wir nicht ausprobiert oder erfahren haben, können wir schwer beurteilen. Allerdings kann ich sehr gut nachvollziehen, wenn Menschen etwas nicht ausprobieren wollen, weil es nicht zu ihrem Selbstverständnis, zu ihrem Lebensstil passt oder weil ihnen der Gedanke schlicht unbehaglich ist. Das ist etwas sehr Persönliches und unbedingt zu akzeptieren. Was mich gerade freut: Einige Leser beschäftigen sich jetzt mit FKK oder Naturisme. Welche Schlussfolgerungen der Einzelne zieht, ist eher nachrangig. Verschiedene Stimmen zu hören und neue Aspekte kennenzulernen, das ist wichtig. Sonnige Grüße, Jutta

  4. Ich würde ja sagen, das ist unerhört! Nackt im Museum? Das Museum hat dem offensichtlich zugestimmt. Und es passt ja auch zur Ausstellung. Dinge gibt’s, aber ich kann das fast gar nicht glauben! Die Fotos sprechen eine ganz leise Sprache und strahlen eine große Gelassenheit aus. Auch Freude. Das spürt man sehr gut. Ich kann mich nur wiederholen: Das Ambiente dort spricht mich an. Es war wieder eine Freude, zu lesen!
    Herzlich
    Hanne

    • Ich danke dir sehr, liebe Hanne! Ja, die Museumsgeschichte hat mich tatsächlich auch sehr überrascht! Der Herr Bibliothekar, der im Artikel zu Wort kommt, hat großartigerweise darauf hingewiesen. Erstaunlich. Vermutlich eine einmalige Aktion? Aber wie zuvor erwähnt: Nacktheit wird wohl eher Diskussionsthema, weil sie ungewohnt ist. Liebe Grüße, Jutta

  5. Hallo Jutta, da ist er also: der nächste Artikel! Ich habe mit Interesse gelesen, wie sich deine Gesprächspartner (?) äußern. Auch andere scheinen bei dem Thema ähnlich zurückhaltend zu sein wie. Zwischen den Zeilen lese ich aber auch etwas Neugierde. Das mit den nackten Museumsbesuchern ist ja ein Ding! Es ist aber schon ein Unterschied, ob ich im sonnigen Frankreich oder im zugigen Museum nackt herumspaziere … Ich bin fasziniert und kann mich sogar an den erwähnten Fotografen erinnern. Gerade habe ich den Kopf voller Gedanken!
    Schöne Grüße
    Helga

    • Guten Morgen, liebe Helga, ja, ich habe ein wenig in die Runde gefragt, ob jemand ein kurzes Statement zum Thema abgeben möchte. Kein ausführliches Gespräch. Ein Gedanke, der einem spontan kommt. Das Museum hat sich da als sehr mutig erwiesen. Immerhin wurden die nackten Besucher ja auch von Museums-Guides begleitet, die sich darauf eingelassen haben. Für mich selbst scheint Nacktheit in der Natur sehr passend. Im Museum finde ich es seltsam. Aber ich muss ja nicht teilnehmen. Und die nackten Besucher waren unter sich. Das ist ein wichtiger Aspekt: „unter sich sein“, damit sich alle wohlfühlen. Dankes fürs Mitlesen und liebe Grüße, Jutta

Heraus mit der Sprache! Ich sehe es wie Karl Popper: "Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab."

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