“She was a wild one, but some of us need the storm to feel safe.” Atticus
Ob wir es an diesem Tag noch auf die Insel schaffen werden, bleibt ungewiss. Der Flugverkehr zwischen dem portugiesischen Festland und Madeira wird ausgesetzt. Schuld daran ist der Wind. Er, der dort draußen auf dem Atlantik so viel rauer weht und nur selten innehält. Als Passat streift er das Eiland mit einer beruhigenden Verlässlichkeit. Ein Umstand, der Segelschiffen seit Entdeckung der „neuen Welt“ eine zügige Überquerung des Ozeans ermöglicht. Doch heute sind die Winde zu einem echten Sturm herangewachsen und an eine zügige Weiterreise ist zunächst nicht zu denken. Wir sitzen fest in Lissabon.
Im Takt der Insel
Rund 950 Kilometer trennen die Urlaubsinsel Madeira von der Hauptstadt. Ein Katzensprung eigentlich. Auch ab Deutschland. In gut vier Flugstunden – sofern der Wind es will – erreicht man Madeira mit ihren angenehmen, im Jahresverlauf nur leicht schwankenden Temperaturen. Über 57 Kilometer erstreckt sie sich von West nach Ost, 22 Kilometer sind es von Nord nach Süd. Alles schön kompakt und schnell zu erkunden. Wären da nicht der Pico Ruivo – mit 1862 Metern die höchste Erhebung –, der Pico do Arierro und andere Gipfel, um die sich die Straßen in nicht enden wollenden Serpentinen winden und den Besucher zu einem moderaten Tempo zwingen. So wird die Reise an Madeiras schönste und geheimste Orte zu einer ganz langsamen.
Flammendes Meer
Der Sturm über dem Atlantik hat sich gelegt. In Lissabon ist das Flugzeug bereit zum Start und knapp zwei Stunden später erreichen wir unser Ziel. Während das Meer in der untergehenden Sonne orange aufflammt, erhaschen wir einen kurzen Blick auf die Silhouette der Insel. Dann ist das Feuer erloschen und Madeira in Dunkel gehüllt.
Schöne Wilde
Pedro redet ununterbrochen und ist immer in Bewegung. Selbst hinterm Steuer seines Landrover, mit dem wir die schmalen, kurvenreichen Straßen Funchals erobern, sitzt er nicht still, gestikuliert mit einer Hand, lacht, erzählt. Während ich verinnerliche, dass sich der Name der Hauptstadt vom portugiesischen Wort für „Fenchel“ ableitet, dass ganze 793 Pflanzenarten auf Madeira heimisch sein sollen und 118 als endemisch gelten, lassen wir die Häuser der Stadt, die wie Schwalbennester an den steilen Hängen kleben und oft nur über noch steilere Stiegen erreichbar sind, hinter uns. Ich überlege, ob es eine so gute Idee ist, die Insel in den nächsten Tagen im Mietwagen zu erkunden. Bei den Kurven und Steigungen möglicherweise eine kleine Herausforderung. Und ein verheißungsvolles Abenteuer!
Ätherische Öle
An den Hängen färbt sich die Erde intensiv rot. Der Boden ist noch feucht von den Regenfällen im Frühjahr und wenig später wird klar, warum wir mit dem Geländewagen unterwegs sind: Der Weg, der uns durch ein Dickicht aus herabhängenden Zweigen führt, die mit fadenartigen Flechten bewachsen sind und an eine Welt in einer anderen Zeit erinnern, gleicht eher einer Schlammpiste. Die Cova da Roda, wie die Einheimischen sie nennen, ist nicht für gemütliche Sonntagsfahrten geschaffen. Durch die offenen Fenster strömt der schöne Duft ätherischer Öle … Eukalyptus. Wir halten kurz, um ein paar der silbriggrünen Blätter zu pflücken. Zwischen den Fingern zerrieben, hinterlassen sie einen intensiv duftenden, öligen Film. Heimisch ist Eukalyptus in Australien. Nach Madeira wurde er eingeführt, um die Hänge vor Erosion zu schützen. Zu einem hohen Preis: Die invasive Baumart erhöht die Gefahr von Waldbränden, wirken ihre Öle doch wie Brandbeschleuniger.
Nebelwald
Auf dem Weg von Süd nach Nord fahren wir durch Wolken. Oder ist es Nebel, der die Landschaft in Pastellfarben taucht? Wer enttäuscht ist, weil die Sicht nur wenige Meter beträgt, der muss sich nicht lang gedulden, denn hier, im Zentralmassiv der Insel, ziehen die Wolkenschleier rasch weiter.
Was an Niederschlag zurückbleibt, lässt Madeira besonders üppig aufblühen: da wippen Paradiesvogelblumen auf schlanken Stängeln, duftige Blütenkugeln von Schmucklilien, deren Knollen man am Wegesrand als Souvenir kaufen kann, oder der Natternkopf, der „Stolz Madeiras“. Violett blühend leuchtet er schon aus der Ferne. Kohlköpfe werden hier riesig, auch Bohnen und Kartoffeln gedeihen gut. Besonders günstig ist das Klima für die kleine Madeira-Banane: Von den süßen Früchten, die so leicht auf der Zunge zergehen, werden pro Jahr rund 18000 Tonnen geerntet. Bananenernte ist Schwerstarbeit. Die klein parzellierten Felder, terrassenförmig angelegt, um das Land an den Hängen nutzbar zu machen, sind schwer zugänglich und nur in Handarbeit zu bewirtschaften. Eine einzige Bananendolde mit rund 100 Früchten wiegt um die 30 Kilo.
Hochprozentiges
Nicht weniger mühsam ist die Ernte von Zuckerrohr, der ersten bedeutenden Kulturpflanze auf Madeira, bevor der Anbau von Wein und Banane ihr den Rang ablief. Von April bis Ende Mai werden die mannshoch gewachsenen Pflanzen geschnitten, das zuckerlose Blattwerk entfernt, die Rohrstöcke zu Bündeln gebunden: bereit zum Abtransport in eine der wenigen Zuckerrohrfabriken, die auf Madeira noch in Betrieb sind. Einst gab es in jedem Dorf zwischen Funchal und Calheta einen „Engenho“, eine Zuckerrohrmühle. Mancherorts erinnern runde Schornsteine noch daran. Ihren Niedergang erfuhr die madeirische Zuckerproduktion im 17. und 18. Jahrhundert, als karibische und südamerikanische Produzenten auf den europäischen Markt drängten.
Vor den „Engenhos do Norte“ in Porto da Cruz herrscht reger Betrieb: Während schwer beladene Pritschenwagen ihre Tagesernte hinten im Hof abladen, können Besucher im weiß gestrichenen Fabrikgebäude zusehen, wie das Rohr von der Mühle zermalt und der Saft herausgepresst wird. Was außen frisch und modern anmutet, entpuppt sich im Inneren als Relikt der industriellen Revolution: Dampfbetriebene Maschinen –„Birmingham“ prangt da gusseisernen Lettern – machen einen ohrenbetäubenden Lärm, die Luft ist schwer und feucht. Es riecht süßlich, etwas nach Alkohol. Hier wird Rum produziert. Und Melasse, die Mel de Cana. Für 100 Liter der klebrig braunen Masse, Zutat für den traditionellen Honigkuchen, braucht man eine ganze Tonne Zuckerrohr. Die gleiche Menge reicht für circa 60 Liter hochprozentigen Alkohol. Braunen und weißen Rum, den man gleich nebenan im winzigen Shop probieren kann. Oder besser noch: „Poncha“. Dafür werden weißer Rum mit flüssigem Madeira-Honig und frisch gepresstem Zitronensaft verquirlt. Richtig gut ist er dann, wenn der gefühlte Alkoholgehalt im Geschmack überwiegt. Und ein einziges Glas reicht dann auch völlig aus, um ganze die Wirkung des Hochprozentigen zu spüren.
[… to be continued!]
Schon gewusst?
Dass Madeira zusammen mit den Azoren, den Kanaren und den Kapverden zu den Makaronesen, den „glückseligen Inseln“ gehört? Glücklich werden Reisende auf Madeira ganz schnell. Zum Beispiel bei gutem Essen: Der berühmte Degenfisch, der mit einer hakenbewehrten Leine aus großen Tiefen (bis 1500 m) geangelt wird und auf dem Weg zur Wasseroberfläche seine Farbe von Kupfer zu Schwarz verändert, kommt als „Espada com Banana“ , mit gebackener Banane also auf den Tisch. Besonders lecker in der Quinta do Furão, wo man ihn auf dem Balkon mit fantastischem Blick auf den Ozean genießen kann. Wer dort zuviel süßen Madeira getrunken hat, bleibt am besten über Nacht in dem wunderschönen Herrenhaus. Unbedingt probieren sollten Besucher auch „Lapas“, gegrillte Napfschnecken in fruchtig grünem Sud mit Limette. Ölig und unglaublich lecker! Die Reste einfach mit „Bolo de Caco“, warmem, saftigem Fladenbrot, vom Teller wischen. Für „Bola de Mel“, einem Gewürzkuchen mit Nüssen, kandierten Früchten und heimischen Zuckerrohrsirup, ist dann möglicherweise kein Platz mehr. Zu schade eigentlich!
„Alle Gewächse Indiens und Südamerikas gedeihen auf dieser von der Natur gesegneten Insel.“ (Graf Louis Rechberg, um 1860)
© Texte und Bilder: Jutta M. Ingala
WER? WO? WAS
Der Name Madeira leitet sich vom portugiesischen Wort für Holz ab. Neben der Hauptinsel gehören zum Archipel auch das kleinere Porto Santo – berühmt für seinen goldgelben Strand – sowie die unbewohnten Inseln Ilhas Desertas und Ilhas Selvagens. Madeira liegt vor der Küste Westafrikas im Atlantik und ist in nur vier Flugstunden – beispielsweise ab Düsseldorf – erreichbar. Die Temperaturen auf der Insel sind ganzjährig angenehm und liegen im Mittel bei ca. 18 °C. Aufgrund der exponierten Lage, der Passatwinde und des gebirgigen Inlands, gibt es verschiedene Mikroklimas, die man innerhalb eines Tages spielend erleben kann.
Selbst fahren oder sich mit Adventureland Madeira im Landrover auf eine sehr individuell und humorvoll gestaltete, mit viel Wissen angereicherte Tour über die Insel begeben? Beides! Für eine Madeira-Reise sind die Buchung von Flug und Hotel im Paket preislich oft attraktiver die von Einzelbausteinen.
Auf meiner Reise nach Madeira wurde ich von Visit Madeira unterstützt. Herzlichen Dank dafür!
Nein, ich hab es nicht gewusst, das mit den glückseligen Inseln! Es sieht toll aus. Von Madeira hatte ich bisher ein etwas „angestaubtes“ Bild. Es kommen also noch mehr Erzählungen zur Inse? Bin gespannt! Grüßchen, Nele
Ja, es folgt noch die ein oder andere Geschichte! Ich hatte auch ein völlig falsches Bild von der Insel. Es ist ein besonderes Fleckchen Erde auf das ich mich gerne noch einmal für länger einlassen würde! Es ist wunderschön auf Madeira. LG, Jutta
Hallo Jutta,
Madeira ….. da war ich mal vor knapp 20 Jahren. ich erinnere mich an den abenteuerlichen Flughafen auf Stelzen, einem der kürzesten in Europa, und vor allem an die ganze blühende Insel. Wenn nicht irgendwo Asphalt oder Häuser waren war es garantiert voller Pflanzen und bunt von Blüten. Deine Reiseerlebnisse kann ich voll teilen. Ich hoffe, Du hast auch eine Levada-Wanderung gemacht? Madeira liegt zwar etwas abseits und nicht so bekannt wie die Kanarischen Inseln, aber sicher eine Reise wert. Da will ich auch mal wieder hin.
Viele Grüße und einen schönen Sonntag
Winfried
Hallo Winfried, weniger bekannt bedeutet ja meist auch weniger frequentiert und viel entspannter! Ja, eine kurze Levada-Wanderung war auch dabei. Vor allem jedoch eine lange Wanderung im kargen Osten, der mich sehr an Island erinnert hat. Davon wird die nächste Geschichte erzählen! Liebe Grüße aus Südnorwegen, Jutta
Wunderbar! Ich bin seit fünf Jahren auf Madeira zuhause und besser hätte ich den Zauber der Insel in der Kürze nicht beschreiben können. Obwohl … um Madeira wirklich kennenzulernen musst du zu Fuß gehen. Dann begegnen dir auch die freundlichen Menschen und du siehst die kleinen Dinge, die dir beim ersten Besuch nicht auffallen, weil die spektakuläre Natur dich so in den Bann gezogen hat.
Seit fünf Jahren wandere ich mit meinem Mann und Freund/innen über die Insel und bin kaum einen Weg zweimal gegangen. Madeira ist so klein und doch so großartig.
Hallo, liebe Issi, oh je, ich dachte, ich hätte auf „senden“ gedrückt … Meine Antwort kommt jetzt sehr verspätet – sorry! Ja, die Landschaft erlaufen … nur so kommt man ihr tatsächlich „auf die Spur“! Denn dann entdeckt man die kleinen Dinge, die sich zum großen Ganzen zusammenfügen, dann kommt es zu schönen Begegnungen und Gesprächen – manchmal sehr wortkarg, dafür sehr gestenreich! -, dann taucht man wirklich ein! Mein Aufenthalt war nur kurz, aber nicht zu kurz für die ein oder andere Wanderung. Davon erzähle ich demnächst! Wie glücklich du auf der Insel sein musst, herzliche Grüße, Jutta