Goa war gestern [Niederlande]

For-rest – Glamping zwischen Flamingos und Weidevieh
Wenn das Leben Kopf steht, gestrandete Weltreisende und hippe Vagabunden Alternativen zu Goa und Ibiza suchen, liegt das Gute neuerdings – und hoffentlich bleibend! – ganz nah. Im niederländischen Rekken nämlich, nur einen Steinwurf entfernt vom Naturschutzgebiet Zwillbrocker Venn, das mit seinen rosaroten Flamingos per se schon sehr exotisch ist.

Tipis und Jurten im Achterhoek
Ein Pop-up-Glamping auf der grünen Wiese. Pop-up, also temporär. So zumindest die anfängliche Idee von Jeroen Schreurs (35) und Michael Wedel (51) als ein Virus um den Globus rast und nicht nur die Pläne von Urlaubshungrigen und Festival-Enthusiasten platzen lässt, sondern auch von denen, die in diesem Geschäft unterwegs sind. Not macht bekanntlich erfinderisch und Zufälle bestimmen das Leben. Der Zufall ist es denn auch, der die beiden Achterhoeker Unternehmer zusammenführt. Der eine für gewöhnlich mit Foodtrucks diesseits und jenseits der Grenze unterwegs, der andere verantwortlich für stylishe Unterkünfte auf Festivals wie Pinkpop oder Lowlands. Doch die finden 2020 nicht statt. Schreurs und Wedel juckt es in den Fingern. Die Dinge aussitzen ist nicht ihr Ding. Festival-Zelte, Tipis und Jurten, Foodtrucks und Barbecues, vor allem unzählige helfende Hände warten auf ihren Einsatz. Der ideale Ort dafür findet sich auf einem alten Bauernhof, der bereits einmal Geschichte als Camping-Platz geschrieben hat. Das ideale Konzept: Glamping.

Lässiger Luxus
2005 tauchte das Kunstwort aus „Glamorous“ und „Camping“ erstmals in Großbritannien auf. Seitdem ist die Idee um den Erdball gereist, im Schlepptau Menschen, die mit größtem Vergnügen in ungewöhnlichen Unterkünften inmitten der Natur verweilen. Mit altmodischem Zelten hat Glamping natürlich nichts zu tun. Neue Erfahrungshorizonte und ein wenig Bohème, Bett statt Luftmatratze, Yoga statt Liegestütze. Ganz wichtig: ein eigenes Klo. Hier ist es eine hübsche Holzbox mit privatem WC.

Binnen weniger Wochen, vom Kennenlernen im April bis zur Eröffnung im Juni – pragmatisch niederländisch – haben Schreurs, Wedel und ein bunt zusammengewürfeltes Team aus Freunden und Familie, aus Gleichgesinnten in Aufbruchstimmung „For-rest Glamp“ erschaffen. Zwischen idyllischem Weiher, hinter dessen Gürtel aus Schilf nun spitze Tipis nach dem Himmel greifen und dem plätschernden Bach Ramsbeek, den Glamper über einen verschlungenen Pfad und am besten auf nackten Sohlen erreichen, dabei Margeriten pflücken für Blumen im Haar. Rund 60 Zelte, mongolische Jurten, in denen Traumfänger baumeln, indonesische Awajis auf kleinen Stelzen und luxuriöse Tiny Houses mit einladender Terrasse und Hängematte vor der Tür, sind auf dem Areal verstreut. Versteckt im Gebüsch oder mit Blick auf die Wiese, wo gutmütige Kühe grasen und wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, buhlen sie um den höchsten Coolness-Faktor.

Im Rhythmus der Natur
Über „For-rest“ – ein schönes Wortspiel zwischen „zum Ausruhen“ und „Wald“ – liegt eine legere Festival-Atmosphäre. Um einen zentralen Platz mit Barbecue, das gemeinschaftlich genutzt werden kann, gruppieren sich Foodtrucks und Open-Air-Bar. Auch ein kleiner Shop in einer ehemaligen Scheune. Doch abends um 10 ist hier Schluss. Denn bei „For-rest“ geht es um Raum und Stille, um „Zeit zu sein“ im Rhythmus der Natur. Dazu gehören auch ein Outdoor-Wellness-Bereich mit Fass-Sauna, Hot Tub und Liegstühlen, die sich lässig in den weißen Strandsand lehnen. Alles ziemlich stylish hinter einem geflochtenen Zaun aus Haselnussruten.

Für Gemütlichkeit sorgen Papierlampions, die in den Bäumen schaukeln. Und „Lenes Winkel“, das kleine Geschäft, wo sich Gäste nicht nur mit Leckerem aus der Region fürs Frühstück oder Abendessen versorgen können, sondern auch mit schönen Souvenirs: Säfte in Bügelflaschen, Marmeladen aus längst vergessenen Obstsorten oder Schaffelle und kuschelige Kissen, die zuerst die Glamping-Unterkunft aufpeppen und später das Zuhause. Die Kissen fertigt Marieke, die eigentlich Hochzeiten plant, von Hand aus alten Decken. Schickes Upcycling, das auch bei der Ausstattung des Geschäfts eine wichtige Rolle spielt. Zusammen mit Linda – Michaels Frau – hat Marieke Fundstücke vom Hof zusammengetragen und in die Deko einbezogen.

Tagträumen
Tagsüber spielt man Boule, das wieder ziemlich angesagt ist, träumt am Weiher oder lässt sich von einem Bushcrafter in Baumkronen hieven, um die Welt von oben zu betrachten. Wer ausschweifen möchte kann einen Drahtesel satteln, um die Wasserlandschaften der umliegenden Venngebiete zu erkunden, ein Kanu besteigen und über die Berkel paddeln oder sich ins herrlich frische Brunnenwasser des nahen Naturbads stürzen. Ach ja, für das eigene Zelt steht die „Nomadenweide“ zur Verfügung. Und wer sich ein wenig Provence-Feeling in den Achterhoek holen möchte, mietet die himmelblaue Cabrio-Ente. Kleine Abenteuer für perfekte Glücksmomente. Vielleicht wird ja aus dem Pop-up etwas Bleibendes.

© Texte und Bilder: Jutta M. Ingala

WER? WO? WAS?
For-rest Glamp – Rekkenseweg 25, 7157 AB Rekken (Niederlande) – ist ein temporäres Glamping für Erwachsene. Ausgenommen sind regelmäßig auf der Website angekündigte Perioden während er Schulferien: dann ist Familienzeit bei For-rest Glamp. Geöffnet in 2020 bis voraussichtlich 1. November. Buchungen online oder telefonisch unter 0031 6 57829403. Keine Angst vor Sprachproblemen: unsere „Buurmannen“, unsere „Nachbarn“, sprechen gut Deutsch!

Glamping mit der eigenen Hängematte im Gepäck? Schönes dafür gibt es hier: Die Hängematte .

Ausflugstipps für die Region Achterhoek gibt es auf Achterhoek.nl. Wer den Osten der Niederlande – die Regionen Gelderland und Overijssel – ausgiebiger erkunden möchte, findet Anregungen für jede Jahreszeit in meinem Buch „52 kleine & große Eskapaden im Osten der Niederlande“. Das Buch ist erhältlich beim Lieblingsbuchhändler.

Der Artikel erschien in leicht abgewandelter Version zuerst in der NRZ – Neue Ruhr Zeitung – vom 25. Juli 2020.

10 Gedanken zu “Goa war gestern [Niederlande]

  1. Hallo Jutta,

    irgendwie hat es auch etwas schönes, wenn man auf einmal, die „Schönheiten“ in der Nähe entdeckt. Ich wohne nun seit 8 Jahren in Zürich, habe aber nie daran gedacht, dass ich das Elsass in nur zwei Stunden mit dem Auto erreiche. Ich war ganz begeistert, was ich dort alles entdeckt habe. Die Niederlande vor der Tür zu haben ist sicher auch toll! Insbesondere, wenn es dort so coole Glamping-Unterkünfte gibt. Das wäre total mein Fall und ich würde sofort ein Wochenende dort verbringen. Leider ist es für mich dann doch zu weit…

    Ich bin gespannt, wo wir 2021 unsere Ferien verbringen werden. Die Zeichen stehen aktuell wieder auf „in der Nähe“. Aber das kann ja auch schön sein.

    Lieber Gruss,
    Isabel

    • Herzlichen Dank für deine Nachricht, Isabel! Ja, derzeit rückt „Nähe“ tatsächlich stärker ins Bewusstsein. Und ich bin fest davon überzeugt, dass sehr viele Menschen sehr spannende und beglückende Entdeckungen bei kleinen Streifzügen in ihrer „Nachbarschaft“ machen. Für den einen ist es das nahe Elsass, für den anderen eben die Niederlande. Oder ein schöner Wald, ein See, eine Bank an einem Fluss … Ein Garten, den man bei einem Spaziergang entdeckt. Es gibt soviel! Ich freue ich auf jeden Fall über jeden Tag an der frischen Luft. Irgendwann gerne auch wieder über eien schöne Ausstellung, ein tolles Konzert und – das vermisse ich sehr! – Zeit mit lieben Menschen bei einem guten Essen. Liebe Grüße, Jutta

  2. Hallo Jutta,

    eine interessante Art Urlaub zu machen! Hast Du dort auch mal übernachtet? Camping ist eigentlich nichts für mich, aber das kann man ja kaum „Camping“ nennen. Ich könnte mir hier doch vorstellen, es mal zu versuchen. Ich habe mir auf deren Seite ein paar Angebote angesehen. Klingt interessant und sieht gut aus.

    Übrigens … in Bonn, wo ich herkomme, gibt es auch eine individuelle Art, in der Stadt zu übernachten. In einer Halle gibt es verschiedene Übernachtungsmöglichkeiten, in Wohnwagen oder Zügen (www.youtube.com/watch?v=q8Mab13jPhY).

    Und …. viel Erfolg mit Deinem neuen Buch!

    Viele Grüße
    Winfried

    • Hallo, lieber Winfried, das ist gleich bei mir um die Ecke und die beiden „Macher“ haben halt aus dem, was Ihnen zur Verfügung steht – Foodtrucks, Festival-Zelte, Jurten & Co. – ein neues Konzept gebastelt, dass es Ihnen in Corona-Zeiten ermöglicht, Einkünfte zu generieren. Außerdem sind viele (helfende Hände) mit an Bord, die ähnlich betroffen waren. Das ist aus meiner Sicht ganz großartig! Genau, Camping ist auch nicht meines, aber das hier ist „glamorous camping“: Glamping eben : ) Es gibt für jede Zielgruppe ein Übernachtungsangebot auf dem Markt. Und hier sind es eben diejenigen, die gerne à la Bohème, ein wenig alternativ unterwegs sind, trotzdem auf einen gewissen Komfort nicht verzichten möchten und vor allem eine lässige Atmosphäre suchen. Mit Yoga und Wellness, Boule, Grillen (aber nicht auf so einem 08/15-Ding) und und und … Es ist „stylish“! Liebe Grüße, Jutta

    • Ja, liebe Stefanie, beim Vagabundieren so ohne Pläne ist man ja schnell mal bei den „buurmannen“. Genauso verhält es sich mit den Eskapaden : ) Lieben Dank und gute Nacht, Jutta

  3. Hallo Jutta,
    ich bin zwar kein ausgesprochener Fan von Camping/Glamping, aber ich finde beachtlich, was Menschen in schwierigen Situationen auf die Beine stellen können. Beim „For-rest“ sieht es ja ziemlich originell aus. Schön finde ich das Angebot lokaler Produkte in dem kleinen Geschäft. Das klingt nach ganz viel „Miteinander“.
    Hoffe, dass sie dort ganz viele Gäste bekommen!
    LG
    Karin

    • Hallo Karin, ich glaube, dass sie bisher viele Gäste hatten. Ich schaue immer einmal wieder auf Instagram und Facebook und verfolge die originellen Aktionen: dann wird Stockbrot für Kids gegrillt, dann gibt es einen tollen Oldtimer, den man mieten kann, den Bushcrafter, den ich erwähnte, Yoga etc. pp. Immer spannende temporäre Angebote, die für viel Abwechslung sorgen. Das finde ich recht clever! Und ja, wirklich bewundernswert, was dort in kürzester Zeit geschaffen wurde! Lieben Dank, Jutta

  4. Die Niederländer sind ja ziemlich pragmatisch: Da werden Ideen gleich in die Tat umgesetzt! Kann man in dem gelben Schulbus auch übernachten? Ich wäre dabei!
    Grüße, Eva

Heraus mit der Sprache! Ich sehe es wie Karl Popper: "Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab."

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