„Art is not a special thing. Anyone can do it“. Yoko Ono
Kunst hat mich schon als Kind berührt. Dabei war meine Familie nicht sonderlich kunstsinnig. Aber Museums- und Ausstellungsbesuche gehörten doch zum festen Repertoire sonntäglicher Aktivitäten.
Manchmal hat Kunst mich eingeschüchtert, mir regelrecht Angst gemacht … Nicht die überbordenden, rätselhaften Gemälde eines Hieronymus Bosch mit ihren düster prophetischen Szenen. Eher der Gedanke, Kunst nicht richtig zu verstehen. Und mich nicht angemessen darüber Kunst unterhalten zu können.
Irgendwann auf der Museumsinsel Hombroich, während eines Ausflugs unter Kollegen und in der Begleitung eines Kunstprofessors aus Münster, werde ich gefragt: „Und, was denken Sie?“ So, jetzt ist er da, der Moment in dem ich mich outen und gestehen muss, dass ich gar keine Ahnung habe. Dass ich das, was ich vor mir sehe, zwar interessant, schön, abstoßend, unverständlich oder faszinierend finde, dass es mich berührt oder ganz kalt lässt. Dass ich aber keine qualifizierte Aussage treffen kann. Ich gestehe: „Ich kann es nicht in Worte fassen, aber es berührt mich.“ Vor uns ein Werk von Yves Klein. Das ikonische Blau. Die Leinwand nicht viel größer als ein A4-Blatt. In meiner Erinnerung wächst sie später zu einem riesigen Bild heran. Und mit der Erinnerung auch mein Selbstbewusstsein. Über Kunst muss man nicht schlau diskutieren. „Sie muss eine Saite in uns anschlagen, dann ist es gut“, sagt der Herr Professor.
Mit Jessica sind wir im MAC Lyon unterwegs. Jess ist Amerikanerin, jedoch der Liebe wegen in Lyon hängen geblieben. Sie hat Esprit, unterstreicht ihre Ausführungen mit lebhafter Gestik, füllt die Führung durch YOKO ONO – Lumière de L’aube mit so viel Begeisterung, dass sich selbst die kunstgeschichtlichen Fakten wie spannende Erzählungen anhören. Auf kurzweilige Art bringt sie mir nicht nur die Idee der Konzeptkunst nahe, sondern zeichnet ein vielschichtiges Bild einer faszinierenden Frau: Yoko Ono.
Das Bild, das sich in meinem Kopf eingebrannt hatte, war eines der legendären „Bed-ins for peace“: Yoko Ono zusammen mit John Lennon, langhaarig und im Pyjama auf einem Hotelbett sitzend, Blumen in der Hand. Vor allem war es das Bild „der Frau von John Lennon“. Bis Jess mir ein anderes in meinen Kopf pflanzt:
Yoko Ono, die ebenso talentierte wie vielseitige Künstlerin …
Yoko Ono, deren Klanginstallationen Gänsehaut bereiten …
Yoko Ono als Bildhauerin, die uns marmorne Körperteile eines Frauentorsos ertasten lässt. Wir merken sofort, bei welchen Körperteilen wir Scheu verspüren und welche wir ungeniert anfassen. Es geht fast allen Besuchern gleich.
Yoko Ono, die verstörend fesselnde Videoinstallationen zeigt …
Yoko Ono als Performance-Künstlerin: Auf den Bühnen der Welt lässt sie sich sprichwörtlich die Kleider vom Leib schneiden. „Cut Piece“ ist eine so genannte partizipative Perfomance, bei der Zuschauer zu Beteiligten werden (können). Das Video zeigt Yoko Ono schon als reife Frau auf einem Stuhl sitzend. Jeder Schnitt ins Textil zeichnet sich auf dem Gesicht der Künstlerin als Reaktion ab. Als sie nur noch die Fetzen ihrer Kleidung vor dem Körper zusammenhält, glaubt man Panik in ihren Zügen zu lesen.
Vor einem Textil an der Wand hängt ein gefüllter Beutel. Daneben die Anweisung: „Cut a hole in a bag with seeds of any kind and place the bag where there is wind.”
Yoko Ono ist Konzeptkünstlerin. In der Konzeptkunst spielt die Ausführung eines Werkes eine untergeordnete Rolle. Sie muss nicht einmal vom Künstler selbst erfolgen. Idee und Konzept stehen der Ausführung gleichrangig gegenüber. An die Stelle fertig gearbeiteter Bilder oder Skulpturen treten Skizzen oder Anleitungstexte. Das Kunstwerk wird entmaterialisiert, der Betrachter einbezogen, gewohnte Sichtweisen und Zusammenhänge werden hinterfragt.
Hohe und niedrige Leitern füllen den Raum. „Steig hinauf und du bist dem Himmel näher“, heißt die Anweisung. „Kiss“, „imagine“, „hug“, „touche“, „rêve“ … Aufforderungen zum Küssen, der Fantasie freien Lauf zu lassen, Dinge zu berühren, sich zu umarmen oder zu träumen. Winzige Gedichte reihen sich an der Wand und Besucher kommen ganz nah, um sie zu entziffern. Ein Saal ist gefüllt mit einhundert schlichten Särgen, aus denen kleine Bäume wachsen. Geht es um Tod und Wiedergeburt? Ich sehe nur das frische Grün und das schöne, glatt polierte Holz der Särge. Ich blicke in Spiegel, die mein Ich gleich zigmal reflektieren und mir Facetten meiner selbst zeigen.
In einem Vorraum stülpe ich mir einen schwarzen Sack über den Kopf. Wie fühlt man sich, eingeschnürt in ein Stück Textil, umgeben von Dunkelheit? Nicht gut, entscheide ich für mich. Der Sack nimmt mir den Atem. Ich versuche den anderen Personen im Raum auszuweichen, ohne sie sehen zu können. Fühlt sich ein Leben in der Dunkelheit so an? Schnell ziehe ich den Sack wieder aus.
Kunst soll berühren. Lumière de L’aube berührt alle Sinne. Und hat mir eine faszinierende Künstlerin näher gebracht. Yoko Ono: „Art is not a special thing …“
© Text und Fotos: Jutta M. Ingala
Wer? Wo? Was?
Die Ausstellung YOKO ONO – Lumiére de L’aube läuft noch bis zum 17. Juli 2016 im Musée d’Art Contemporain de Lyon:
MAC Lyon
Cité Internationale
81 quai Charles de Gaulle
69006 Lyon
Frankreich
T 0033 4 72691717
www.mac-lyon.com
Geöffnet mittwochs bis sonntags. Am Wochenende von 10.oo bis 19.oo Uhr, während der Woche von 11.oo bis 18.oo Uhr. Das historische Palais de la Foire (Messepalast) wurde zwischen 1918 und 1935 nach Plänen von Charles Meysson erbaut und 1986 im Rahmen der städtebaulichen Planung Cité International vom italienischen Architekten Renzo Piano renoviert. Das Museum liegt vis-à-vis dem schönen Parc de la Tête d’Or.
Lust auf mehr Bilder aus Lyon? Die gibt es auf Instagram!
Der Besuch der Ausstellung fand im Rahmen des #LyonArtTrip von Atout France statt. Herzlichen Dank für die Einladung!
:)
Nice to see your smile here again Ronni! Missed your comment on the „Angry Child“ blogpost. Would love to learn your opinion on that one, Jutta
Hallo Jutta,
in Museen gehe ich auch immer gerne, in einige sogar (fast) jedesmal, wenn ich mich in einer Stadt zum wiederholten Male aufhalte.
Deinem Bericht sieht mein Deine Begeisterung für das Museum und die Ausstellung an! Ich habe mir eben auf der Homepage des Museums mal das Video zur Ausstellung angesehen. Vieles habe ich aus Deinem Bericht und den Fotos direkt wiedererkannt. Die Ausstellung scheint ja sehr vielfältig gewesen sein.
Übrigens …. Yves Klein finde ich auch toll. Vor 12 Jahren gab es mal eine Ausstellung hierzu in Frankfurt in der Schirn (www.schirn.de/ausstellungen/2004/yves_klein). Da kann man nur sagen, blau, blau, blau! Wenn man diese Farbe einmal gesehen hat vergißt man diese nicht mehr.
In Göteborg war ich am Dienstag im Museum der Weltkulturen in einer Ausstellung über Afghanistan, auch sehr interessant (www.varldskulturmuseerna.se/en/varldskulturmuseet/ongoing-exhibitions/afghan-tales).
Viele Grüße
Winfried
Hallo Winfried, vielen Dank fürs Mit- uns Querlesen! Ich liebe Museen und nehme so oft es geht die Gelegneheit wahr, eines zu besuchen oder mir bestimmte Ausstellungen anzusehen. Was mich ein wenig traurig macht, sind die horrenden Eintrittspreise. Gerade wenn man als Familie unterwegs ist. Das sollte in Deutschland anders werden! Das Museum Folkwang (um eines zu nennen) zeigt hier ja Vorbildfunktion mit freiem Eintritt an allen Öffnungstagen zumindest in die ständige Ausstellung. Schade, dass das scheinbar nur mit privaten Förderern möglich ist. Aber immerhin. Ich habe mir gerade einmal den Link ins dänische Museum angesehen: Wahnsinn, dass es in einen so zerütteten Land, eine Fotografieszene gibt. Aber wie ich im letzten Artikel in einem anderen Zusammenhang sagte: Manchmal vergisst man, dass der Alltag nicht still steht. Egal wo, egal was passiert. Und das ist etwas sehr Gutes! Ich hätte Lust, die Ausstellung anzusehen. Danke für die Anregung! Liebe Grüße, Jutta
Yoko Ono als Künstlerin ist Neuland für mich. Lyon auch. Über die Stadt weiß ich eigentlich gar nichts. Du hast mich neugierig gemacht!
LG, Stefanie
Hallo Stefanie, nicht nur Yoko On war eine echte Entdeckung für mich. Auch Lyon mit seiner tollen Architektur- und Kunstszene, mit seinen schönen Vierteln und tollen Restaurants ist sehr für einen Städtetripp zu empfehlen. Eine fabelhafte Alternative zu Paris! Liebe Grüße, Jutta
Salut Jutta! Der Bericht über meine Heimat ist sehr schön! Lyon, das ist wirklich Kunst und Kultur, gutes Essen und ganz viel modernes Leben, Mathieu
Merci Mathieu, das kann ich alles ganz dick unterstreichen! Lyon steckt voller Überraschungen und ist weit mehr als eine Reise wert! Herzlichen Dank fürs Vorbeischauen, sonnige Grüße, Jutta
Ich reihe mich ein: Yoko Ono war für mich die Frau von John Lennon. Ich glaube, ich habe Wissenslücken, die ich dringend schließen muss! Interessanter Bericht, LG, Sonja
Guten Morgen Sonja, so scheint es tatsächlich vielen zu gehen! Freue mich, wenn ich hier einen Anstoß gegeben habe: Es lohnt sich auf jeden Fall, sich intensiver mit der Frau auseinanderzusetzen. Danke fürs Mitlesen, sonnige Grüße Jutta
Ich finde die Bilder genial! Besonders die mit den Helmen, den Türen und den Säcken. Das sieht wirklich nach einer ungewöhnlichen Ausstellung aus, liebe Jutta!
Gruß,
Renate
Ich danke dir Renate! Ich habe die Ausstellung wirklich genossen, auch wenn ich in, vor oder auf einigen der Exponate eine Gänsehaut bekommen habe! Liebe Grüße, Jutta
Hallo Jutta, interessante Einsichten! Grüße, Jörg
Danke Jörg! Ja, das „Sehen“ wurde in der Ausstellung stark gefordert. Aber auch das „Tasten“ und „Hören“ : ) Viele Grüße, Jutta
Sehr schön, wie Du das Thema „Wahrnehmung und Beurteilung von Kunst“ verbindest mit deinen Eindrücken in Lyon, Jutta!
Lieben Dank Sabine! Ich freue mich, dass es dir gefällt! Herzliche Grüße, Jutta
Muy lindo.
!Muchissimas gracias Salva! : )
So touched to read this article and hear your ideas about the show. Hopefully our paths will cross again someday. Until then, happy trails!
Dear Jess, thank you so much for taking the time to read the article! And thank you for the wonderful hours at MAC and the many insights you gave me into Yoko Oono’s life and work! Best, Jutta
Mir geht es da wie dir Jutta: Ich habe Yoko Ono auch primär als Frau von John Lennon wahrgenommen. Spannend! Grüße,
Sarah
Liebe Sarah, ja, eine spannende Frau, von der ich definitiv mehr sehen und weissen möchte! Wünsche dir einen tollen Start in den Tag! Sonnige Grüße, Jutta