Lotta backt Brot [Schweden]

Fika, Felsen und das gute Leben auf Tjörn

Aus altem Getreide wie Emmer und Dinkel backt Lotta Kristensen hauchdünne Knusperpizza und Brotlaibe mit kräftigen Aromen. In ihren Produkten stecken nur gute Zutaten. Vor allem Leidenschaft.

Wie Walrücken lugen die glatt geschliffenen Felsen aus dem Wasser. Blass, wie auch das Meer und der Himmel, wie die karge Vegetation, die sich ängstlich ans Gestein klammert. Eine Landschaft, die an ein Aquarell erinnert. Eigentümlich leuchtend und von so schlichter Schönheit, dass es seit jeher Künstler auf die Insel Tjörn zieht, um etwas von diesem Zauber einzufangen. Wer sich im nahen Nordic Watercolour Museum umsieht, liest ihre Geschichten in Bildern.

Von Häkeldeckchen und Blumentöpfen
Wegen des Lichts bin ich jedoch nicht gekommen, mich zieht der Duft der Backstube an. „Lottas Bak & Form“ steht in schwungvollen Lettern an einem unscheinbarem Häuschen über der Bucht. Hinten schließt eine Holzveranda an, die gleich einem Steg über den Kieselstrand hinausragt. Noch steht das Wasser tief. Wer also seine Zehen schon jetzt ins erfrischende Meer stecken möchte, der muss ein paar Stufen hinuntersteigen.

„Kommst du?“ Lotta Kristensen hält die Tür zu ihrem Reich einladend auf. Strohblondes Haar ist unter einer weißen Haube versteckt, helle Augen leuchten aus dem geröteten Gesicht. Seit mehr als 10 Jahren betreibt die heute 59-jährige ihre Bäckerei mit angeschlossenem Café. Hier trifft man sich zur Fika*, schaut von den Tischen mit grün gehäkelten Deckchen den Bäckern beim Handwerk zu oder durch Sprossenfenster, in deren Rahmen sich Blumentöpfe drängeln, hinaus aufs Meer.

Den guten Dingen Zeit geben
„Die Ruhe und Abgeschiedenheit brauche ich zur Inspiration!“ Lotta lacht. Fältchen graben sich tief um ihre Augenwinkel. Ihr Lachen kommt spontan und ziemlich oft an diesem Tag. Es begleitet ihre Geschichten, macht sie lebendig. Geschichten über sich selbst und das Leben am Meer, vor allem jedoch über die Freude, die einfaches, aber gutes Essen mit sich bringt. Lotta ist Autodidakt. Bevor sie das Backen für sich entdeckte, arbeitete sie als Grafikerin. Von ihr stammen die Entwürfe für die Papeterie, für Schilder, auch die fröhlich gestalteten Wände sind ihre Idee.

Mit Bäckerei verbinde ich frühes Aufstehen und bin natürlich neugierig wann der Tag beginnt. Um vier? Kopfschütteln: „Nein, früh aufstehen mag ich nicht. Nicht so früh.“ Ihre Teige setzt Lotta praktischerweise 24 bis 48 Stunden vor dem eigentlichen Backen an. Mit Sauerteig aus Emmer oder Dinkel als Basis. Das erklärt die Zeile unterm Ladenschild: „Surdegsbakeri“ – Sauerteigbäckerei. „Weißt du, man darf den Dingen Zeit geben.“ Ja, Zeit, die uns Alltag so häufig fehlt. Wie die Geduld, die mit handwerklich guter Qualität einhergeht. Abkürzungen, nein, die sind nicht ihr Ding.

Geschmack der Kindheit
Lotta stapelt leere Körbchen. Das erste Brotbacken habe ich also verpasst. Die Regale sind längst mit duftenden Laiben gefüllt. Seite an Seite liegen sie da. Jeder verziert mit einem auffälligen Z und Blätterranken. Das Z ist Lottas Markenzeichen und lautmalerisches Symbol für „Spelt“ – Dinkel –, der übrigens aus organischem Anbau aus dem nahen Lysekil stammt. Die Brote sind schön anzusehen und eigentlich viel zu schade zum Aufschneiden. Aber die energische Gastgeberin hat schon ein Brotmesser in der Hand, schneidet dicke Scheiben ab und lässt mich probieren: „Über jeden Kunden, der die Details entdeckt und lobt, freue ich mich. Wirklich. Aber das Brot ist ja zum Essen da!“ Im Zusammenspiel von knusprig dünner Kruste und saftiger Krume schmecke ich dezente Säure mit einem rustikalen Unterton. Ein leicht nussiger Geschmack, der mich zurück in meine Kindheit trägt.

5° Grad
Wer zu Lotta ins Café kommt, schnappt sich eines der dünnen Holzborde an der Theke, belädt es mit dem aromatischen Brot, mit Käse oder Ei, Honig oder Marmelade. Dazu ein Glas Saft aus hiesigen Äpfeln. Fertig ist das Frühstück! Fast alles ist lokal, biologisch und hausgemacht. „Ich bin Teil eines ganz wunderbaren Netzwerkes.“ Landwirte, Käse- und Obstbauern gehören dazu.

Der Käse, den Lotta nun auf das Pizzablech streut, stammt von einem Hof, der erst jüngst für seine herausragende Qualität ausgezeichnet wurde. Nicht nur für Brot, auch für ihre Pizza benutzt Lotta Sauerteig, der ganze 48 Stunden bei einer Temperatur von nur 5° Grad gehen darf. Emmer und Dinkel enthalten Gluten, jedoch viel weniger als der heute so hoch gezüchtete Weizen, der vermutlich Grund für viele Unverträglichkeiten ist. Die lange Reifezeit des Teigs macht das Getreide bekömmlicher. Wer dennoch sensibel reagiert, der bekommt von Lotta einen leckeren Kichererbsenteig. Jede Pizza wird mit wenigen, sehr guten Zutaten vegetarisch belegt: auf eine Soße aus organischen Tomaten kommen Zwiebeln, Spinat, Mangold und lokaler Käse natürlich. Für Veganer ersetzt Lotta den Käse durch Rapsöl.

Im Wechsel der Jahreszeiten
Eine ihrer Spezialitäten ist das Pizza-Toppig aus Weißkohl. Ich bin etwas skeptisch, als wir unsere üppigen Pizzastücke hinaus auf die Veranda balancieren. „Setzt dich so, dass du aufs Wasser schauen kannst.“ Ja, herrlich die Aussicht. Und auch die Pizza mit Garnitur aus Rohkost. Spannend und sehr lecker, diese Kombination aus herzhaft und knackig-frisch. Während ich am hauchdünnen Teig knabbere, erzählt mir Lotta vom Alltag in der Backstube, ihren Mitarbeitern und den Praktikanten, den Helfern auf Zeit. „Sie alle suchen Inspiration. Kommen, um mehr zu lernen: Über das Backen mit Sauerteig, über gute, ehrliche Zutaten, über Frisches im Wechsel der Jahreszeiten.“ Aber auch sie selbst lernt von ihrem Team. Es ist diese nie endende Neugierde, die Lotta antreibt. Veränderung ist die einzige Konstante in „Lottas Bak & Form“. Darum war die Pizza vor einem halben Jahr noch eine andere als heute. Und in sechs Monaten wird sie sich möglicherweise wieder verändert haben. „Nur, weil du etwas immer so gemacht hast, muss es ja nicht so bleiben.“ Recht hat sie. Wir essen Pizza aus Sauerteig und trinken viel Saft dazu. Dabei schauen wir hinaus aufs Meer, dessen Duft sich in meine Nase gesetzt hat. Inzwischen reicht auch das Wasser an die Veranda. Jetzt unbedingt noch schwimmen. Oder lieber Kajak fahren? Warum nicht beides, in der Landschaft, die wie getuscht aussieht.

© Texte und Bilder: Jutta M. Ingala

Lottas Bak & Form
Bleketvägen 40 B
471 50 Bleket, Tjörn
Schweden
www.lottasbakoform.se

*Fika … geht nicht allein, nur unter Freunden! Ein echtes Ritual in Schweden, das jedoch weder an eine Uhrzeit, einen Ort, noch an eine Form gebunden ist. Es geht um Geselligkeit und guten Kaffee, auch süßes Gebäck – vor allem die legendären Zimtschnecken – darf dabei nicht fehlen. Lässig auf der Arbeit, Zuhause oder im Kaffeehaus. Der Name leitet sich vermutlich vom „kaffi“ – dem Wort für Kaffee – ab. Aus „kaffi“ wurde „fika“. Bitte mehr davon!

Herzlichen Dank an Lotta und an Visit Schweden, die zur Reise eingeladen hatten, für die Gastfreundschaft!

10 Gedanken zu “Lotta backt Brot [Schweden]

  1. Hallo Jutta,

    ja Schweden …. das hat immer etwas. Ich bin eigentlich jedes Jahr dort, meist in Göteborg. Nur dieses Jahr halt leider nicht. Wenn ich dort bin mache ich immer einen Ausflug auf die Insel Marstrand, die südlich von Tjörn liegt.

    In Marstrand denke ich immer, „Da ist die Welt noch in Ordnung, da gibt es keine Verbrechen und wer weiß, ob die schon Internet haben.“ Wahrscheinlich ist es auf Tjörn ähnlich. Irgendwie eine heile Welt.

    Die Pizza sieht lecker aus, auch wenn Weißkohl sicher etwas ungewöhnlich ist. Aber warum nicht? Bei Deinen Bildern bekomme ich jetzt um Mitternacht noch Hunger. Ich muß gleich mal schauen, ob Lieferando & Co. jetzt (!) noch nach Deutschland liefert. Das wäre es doch :)

    Wenn ich Dir zur Abwechslung mal einen Tipp geben darf … Auf Marstrand gibt es Bergs Konditori. Jedesmal, wenn ich in Marstrand bin, mache ich dort meine eigene Fika (www.bergskonditori.com/fika) mit mindestens vier Kanelbullar. Dort kann man auch schön draußen sitzen mit Blick auf das Wasser und den Jachthafen. Und für die Rückfahrt nach Göteborg zurück nehme ich mir nochmals einige mit. Meines Erachtens gibt es dort die besten Kanelbullar in ganz Schweden.

    Viele Grüße
    Winfried

    • Schon notiert: die Bäckerei! Wo du schon überall warst … ich bin erstaunt! Also ich habe tatsächlich auch erst einmal die Nase kraus gezogen, denn ich kann mich erinnern, dass ich ganz furchtbar hungrig war und dachte, dass mir der Weißkohl gaaaaar nicht schmecken würde! Aber er wurde nach dem Backen roh obenauf gestreut und war geschmacklich ein knackig-frischer Kontrapunkt zur herzhaften Pizza. Ganz ehrlich: Ich habe jetzt auch schon wieder Hunger darauf! Ich habe weder vor Lottas, noch später eine so raffinierte Pizza gegessen. Ich würde tatsächlich gerne wieder hinfahren. Und dann schaue ich mir auch gleich deine Bäckerei ab! Schönes Wochenende, Jutta

  2. Ich liebe ja Brot. Denke ich immer. Und dann bin ich ganz enttäuscht, weil es meist viel weniger gut schmeckt als es aussieht. Gerade auch in Hipster-Bäckereien, wo man sich das anders vorstellt. Vielleicht muss ich mal wieder nach Schweden…

    • Mogelpackungen … soll es ja auch bei Menschen geben : ) Wenn du Lottas Bäckerei von außen anschaust, also von der Straße kommend, sieht es dort erstmal ganz und gar nicht „hip“ aus. Aber drinnen duftet es sofort ganz „echt“, du kannst in die Backstube gucken und die Bäcker sind verschwitzt und voller Mehl. Das Brot schmeckt nach Handwerk : ) Aber die Pizza, die ist noch besser als das Brot! Ich komme mit nach Schweden, liebe Grüße, Jutta

  3. Herrlich, diese Lotta! Musste natürlich an eine gewisse Lotta aus einer gewissen Krachmacherstraße denken. Passt in meiner Vorstellung. Ein Ort, den man gern besuchen und eine Frau, die man gerne treffen möchte. Gefällt!
    Gruß,
    Werner

    • Ja, Werner, das ist ein wirklich passender Vergleich! Wenn du Südschweden und Tjörn tatsächlich einmal als Reiseziel ins Auge fast, dann darf ein Besuch in Lottas Bäckerei nicht fehlen. Sie schrieb mir gestern Abend, dass sie einen fabelhaften Sommer mit lauter schwedischen Gästen hatte, dass ihr aber die jetzt langsam wieder eintrudelnden ausländischen Reisenden schon ein wenig fehlen. Lotta Kristensen ist so ein erfrischend unkomplizierter Mensch – darf man unbedingt kennenlernen! Sonnige Grüße, Jutta

  4. Wie sympathisch! Da habe ich direkt Lust auf Dinkel-Pizza mit Weißkohl :) Es stimmt: die alten Getreidesorten und langes Ruhen des Teigs mach Backwaren viel bekömmlicher. Danke fürs Teilen!
    Leni

    • Hallo Leni, ja, den Dingen Zeit geben. Das ist eigentlich immer eine gute Idee! Ich glaube, so eine Pizza könnte man auch ganz gut selbst backen. Eine originelle schwedische Variante! Sonnige Grüße, Jutta

    • Lieben Dank, Eva, die Pizza war wirklich unglaublich lecker – kein Wunder bei all den guten Zutaten! Und ja, knackiger Weißkohl und knusperdünner Teig sind ein perfektes Paar! Danke fürs Mitlesen, gute Nacht, Jutta

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