Im letzten Jahr haben wir Island beschnuppert und Feuer gefangen. Nun, Mitte August, brechen Luciano und ich zu unserer zweiten Reise auf die größte Vulkaninsel der Erde auf. Diesmal hoffen wir auf Nordlichter und jede Menge Eis! Lu ist übrigens mein Sohn, gerade 13 und mein bester Travel Buddy für unwegsame Pisten, Klettertouren und andere Abenteuer.
Island. Die Insel aus Feuer und Eis, das Land der Extreme, des kapriziösen Wetters und der unglaublich schönen Natur. Ein Mikrokosmos am Polarkreis. Wo Schafe auf den Straßen „Vorfahrt“ genießen und das auch schamlos ausnutzen. Man weiß nie, wo sie gerade auftauchen, auf die Straße springen und einfach dumm glotzen. Wer einen der wolligen Wiederkäuer überfährt, muss dem Besitzer den Schaden ersetzen. Varúð! – Vorsicht also!
Im Übrigen fährt es sich auf Islands Wegen ruhig und sicher. Wenn das Wetter mitspielt. Und natürlich auch nur dann, wenn man mit dem richtigen Fahrzeug unterwegs ist. Leider haben wir uns auf dieser Reise für das falsche entschieden. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Wir sind unterwegs in Richtung Osten. Unser Ziel sind die faszinierenden Gletscher-Lagunen zwischen Skaftafell und Höfn. Die berühmteste und zugegebenermaßen auch spektakulärste ist Jökulsárlón. Aber auch die kleineren, weniger bekannten sind mehr als nur einen Besuch wert.
In Island ist Mitte August noch Hochsaison. Auf der Ringstraße, der Straße mit der Nummer 1, begegnen wir trotzdem oft kilometerweit keinem anderen Fahrzeug. Ein irres Gefühl, wenn man deutsche Straßen gewohnt ist. Weit und breit nur atemberaubende Natur. Ab und zu ein Haus oder zwei. Daneben die obligatorische Kirche. Die ist meist weiß gestrichen und mit einem hellgrünen, blauen oder roten Dach gedeckt. Immer ausnehmend fotogen.
In Höfn – sprich „Höppn“ –, der pittoresken Hafenstadt am Hornfjord, haben wir uns mit Runólfur verabredet. Ronni, wie ihn jedermann nennt, ist im wahren Leben Kapitän. Er ist Herr über das leuchtend gelbe Pilotboot der Hafenmeisterei, das Fischkutter und Frachter sicher in den Hafen geleitet oder ausfährt, wenn Schiffe in Seenot geraten. Neben dem Meer ist die Fotografie Ronnis große Liebe. Außerdem zeigt er Reisenden wie uns gerne die schönsten Seiten seiner Heimat Suð Austurland, dessen kleines, aber liebenswertes Zentrum Höfn ist.
Gerade einmal 1700 Seelen zählt die Gemeinde. Tourismus spielt eine Rolle. Doch eigentlich dreht sich hier alles um Fisch. Vor dem Hafenbüro sind die Namen regionaler Fischarten auf den Asphalt gepinselt, rund um das Hafenbecken Relikte aus der jüngeren Fischerei-Geschichte wie Kunstwerke aufgereiht. Darunter ein Prachtstück: Der Trawler „Akurey“. 1963 in Dänemark für Ronnis Vater gebaut, bis 1998 in arktischen Gewässern zuhause. Auch wenn die „Akurey“ heute auf dem Trockenen liegt, ist sie immer noch ein echter Blickfang.
Dass die Fischerei ein Knochenjob ist, weiß man mindestens vom Hörensagen. Dass sie aber auch heute noch gefährlich ist, davon haben nur die wenigsten eine Vorstellung. Erst im Juni ging ein junger Mann bei hohem Seegang über Bord und ertrank. 23 Jahre jung. Wie lebt es sich in einer Stadt, in der jeder jeden kennt? In der man unweigerlich am Schicksal seines Nachbarn teil hat?
Die Menschen sind freundlich reserviert. Lassen die Dinge nicht wirklich an sich herankommen. Das Klima ist rau. So etwas färbt ab. Da wird auch die Schale ein wenig spröde. Um ein bisschen tiefer in den Alltag der Isländer einzutauchen, mieten wir uns für drei Nächte in Ronnis Gästezimmer ein.
Tagsüber erkunden wir märchenhafte Wasserfälle: die kleinen, unbekannten, verwunschenen. Wir durchstreifen Täler, die sich gerade wundervoll herbstlich färben, werden nass im Regen und beim abenteuerlichen Durchqueren von Flussfurten, beobachten wie sich das Meer gewaltig gegen die Küste wirft. Und wir sammeln Beeren. Schwarz glänzende, fruchtige Krækiber – Krähenbeeren. Etwas säuerlich, aber schön erfrischend. Die Beeren wandern von der Hand in den Mund. Kann das Leben schöner sein?
Abends ist Ronnis Küche „the place to be“. Wir kochen gemeinsam. Fisch natürlich, in allen Varianten. Auch Stock- oder Trockenfisch probieren wird. Einige Überwindung kostet uns Hákarl, fermentierter Grönlandhai. Er ist eine echte isländische Spezialität, die unter den „ekeligsten Speisen weltweit“ immer wieder einen Spitzenplatz einnimmt.
Eigentlich ist der Hai ungenießbar. Das im Körper enthaltene Gift zersetzt sich jedoch in einem mehrmonatigen Trocknungsprozess, bei dem der Hai unter anderem auch in der Erde verbuddelt wird. Das fertige Produkt ist ein in Würfel portioniertes, weißlich bis bräunliches, bissfestes Fleisch mit stechendem Geruch. Wir probieren eine milde Variante. Nun ja, nicht wirklich mein Ding. Ich brauche einen kräftigen Schluck Branntwein, um den Hai runterzuspülen. Und einen zweiten gegen den Nachgeschmack.
Wer schon einmal in Grönland war, am Perito Moreno oder gar in der Antarktis, wird in Island nicht viel Neues in Sachen Gletscher, Eisberge & Co. entdecken. Doch für die Unerfahrenen wie uns ist die isländische Eislandschaft einfach „wow!“ Rund um den Vatnajökull, dem „Wassergletscher“ und Teil des gleichnamigen Nationalparks, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten faszinierende Schmelzwasserseen gebildet: Jökulsárlón, Fjallsárlón und Hoffellslón sind nur drei davon. „Lón“ heißt Lagune.
Die Eisseen liegen isoliert, majestätisch und meist mit spiegelglatter Oberfläche da. Je nach Jahreszeit sind sie mehr oder weniger dicht gepackt mit Treibeis. Große und kleine Eisschollen, manche haben den Namen EisBERG verdient. Sie bieten uns ein fantastisches Schauspiel, ändern Form und Farbe, sind Yves-Klein-blau oder eisweiß, monochrom oder marmoriert von den Spuren vergangener Vulkanausbrüche.
Jökulsárlón besitzt als einziger Eissee einen direkten Zugang zum Ozean. Hier oben ist es der Nordatlantik. Den Kanal nutzen verspielte Robben für einen Abstecher in die Lagune. Wir beobachten die neugierigen Tiere mit den großen, dunklen Augen. Manche fläzen sich auf Eisschollen, andere geben ihre Tauchkünste zum Besten. Flinke Schwimmer, geschickte Jäger, schön anzuschauen. Ganz nah heran kommen wir mit unserem Zodiac aber nicht.
Die Fahrt mit dem Schlauchboot ist mächtig holprig. Was in Filmen so aufregend wirkt, kommt in Wirklichkeit einem Schleudergang in der Waschmaschine gleich. Ich sitze auf dem breiten Rand, halte mich an zwei Griffen fest und hüpfe trotzdem wie ein Flummi auf und ab. Dass ich früher oder später über Bord gehe, davon bin ich überzeugt. Ob das schon einmal passiert sei, will ich von unserem Steuermann wissen. Nur ein einziges Mal: Es sei ein Kollege gewesen. Er grinst. Ob es stimmt?
Jeder, der mit dem Zodiac auf den See hinausfährt, wird in einen dicken Thermo-Overall gepackt. Plus Schwimmweste sehen wir schließlich aus wie Michelin-Männchen. Nicht besonders fotogen, aber mollig warm. Wir frieren während der Tour tatsächlich kein bisschen. Sollte jemand ins Wasser fallen, würde ihn der Overall gute 5-10 Minuten trocken halten. Ein Pilotboot – aus Sicherheitsgründen fahren immer zwei Zodiacs auf die Lagune hinaus – gewährleistet, dass Hilfe schnell zur Stelle ist.
Unser Steuermann bringt uns ganz nah an die Bruchkante der Gletscherzunge. Die Bewegung der mächtigen Eiskappe wird hier förmlich spürbar und manifestiert sich in einer dumpfen, rollenden Geräuschkulisse. Das Eis ächzt. Immer wieder bricht ein Stück ab und kracht ins Wasser. Kalben heißt das.
Mit einem haushohen, leuchtend blauen Eisberg gehen wir auf Tuchfühlung, gleiten langsam vorbei, kreuzen zwischen anderen bizarren Gebilden aus gefrorenem Wasser. Ungefähr drei Monate driftet so ein Stück Treibeis im See, der mit 248 Metern der tiefste Islands ist. Größere Eisberge verbleiben bis zu zwei Jahren in der Lagune. Die Strömung spült die weiß-blauen Skulpturen schließlich ins Meer, wo das Salzwasser sie langsam vergehen lässt.
Auf dem Rückweg zum Ufer darf Luciano das Steuer im Zodiac übernehmen. Ich freue mich für ihn. Island ist freundlich zu uns.
Übrigens ist der Vatnajökull, von dem die Gletscherlagunen gespeist werden, der größte Gletscher Islands und außerhalb der Polarregion auch der größte Europas. Das Eis soll bis zum 900 Meter dick sein. 900 Meter. Kann man sich das überhaupt vorstellen?
Meine Tipps:
Wer die populäre Lagune Jökulsárlón besuchen und dort relativ ungestört sein möchte, sollte dafür den frühen Morgen oder späten Nachmittag bzw. in den Wintermonaten die Zeit um Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang einplanen.
Eine Fahrt mit dem Zodiac ist wirklich unvergesslich. Die Tour mit dem Amphibienfahrzeug (haben wir im Jahr zuvor ausprobiert), das im vorderen Teil der Lagune zwischen den Eisbergen kreuzt ist ebenfalls empfehlenswert. Infos dazu gibt es auf www.jokulsarlon.is
Man sollte sich unbedingt auch Zeit für einen Spaziergang am schwarzen Lavastrand nehmen. Dort wird das Treibeis von der Brandung zurück an Land geworfen und langsam vom Salzwasser zerfressen. Dabei entstehen spektakuläre und äußerst fotogene Eisskulpturen!
Alle übrigen Lagunen der Region stehen im Schatten von Jökulsárlón. Sie sind jedoch nicht weniger reizvoll und man hat sie eigentlich immer ganz für sich allein.
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Wow, eindrucksvolle Bilder! Mein eh schon vorhandener Wunsch, nach Island zu reisen, steigt und steigt… :-)
Es ist wirklich traumhaft! Und ich habe längst nicht alles gesehen. Egal ob du die Insel umrundest, nur im Süden, Osten oder sonstwo reist: Immer begegnet dir atemberaubende Natur. Das Land ist gespickt mit Highlights … und leuchtet, leuchtet, leuchtet … !
Traumhafte Bilder und schön geschrieben. Ich war 2011 auf Island und will jetzt sofort wieder zurück!! (OK, vielleicht erst in ein paar Monaten bei mehr Licht ;-) )
Lieben Dank Susanne! Hast du auch Bilder und Geschichten dazu auf deinem Blog? Da muss ich später direkt einmal schmökern : ) Das Gute am isländischen Winter: Nordlichter! Da würde ich sogar lange Nächste und kurze Tage in Kauf nehmen : ) Wünsche dir einen schönen Abend, bis bald,
Jutta
Zu Island (noch) nicht. Hab mein Blog erst vor kurzem angefangen und übe noch. Dieses Jahr steht aber erst mal Schweden auf dem Programm. Aber nach Island muss ich unbedingt nochmal, speziell die Westfjorde interessieren mich.
Liebe Grüße
Susanne
Ah, gleiche Sehnsüchte : ) Die Westfjorde kenne ich auch noch nicht und Schweden: Hach! Sonnige Grüße
Jutta
Ja, nicht wahr? Und irgendwann möchte ich gern noch nach Neuseeland, aber dafür muss ich wohl noch ein Weilchen sparen. *seufz*
Liebe Grüße
Man muss ja ein paar Träume haben : )
Ich könnt ja fast heulen bei den Bildern. Wir planen gerade eigentlcih eine Islandreise im Mai/Juni, allerdings habe ich mit dem Blick auf den Terminkalender festgestellt, dass ich für alle geplanten Reisen einfach nicht genügend Urlaubstage habe. Jetzt steht Island auf der Kippe… aaaaah. Ich bete, vor allem bei diesen schönen Bildern.
FALLS es doch soweit sein sollte, haue ich Dich nochmal um Tipps an. :)
LG /inka
Hallo Inka, gibt es da nicht viele Feiertage? Ich drücke die Daumen, dass es doch klappt! Du kannst auch eine Etappe planen: 7 Tage im Süden inklusive Eisberge – das passt! Freu mich so, dass dir die Bilder gefallen!
Sonnige Grüße
Jutta
Wunderschöne Bilder Jutta, die Farben sind unglaublich!
Lieben Dank, Tiffany! Ja, die Natur in Island und das Eis haben eine unglaubliche Strahlkraft: Bei dem oft grauen Himmel umso faszinierender. Wünsche dir ein wundervolles 2014!
Island ist echt ein Traum, es steht bei mir ganz oben auf der Liste. Das mit den Schafen bin ich übrigens gewohnt, seitdem ich in Nordfriesland leben ;-)
Dann kann ja auf den Straßen nichts mehr schiefgehen, liebe Elke! :) Ja, das Land ist ziemlich beeindruckend. Bin total verliebt! Übrigens auch keine schlechte Wahl für die Wintermonate, um gefrorene Wasserfälle oder Eishöhlen zu erleben! Und die Nordlichter natürlich, die ich selbst immer noch nicht gesehen habe :)
Toooohooooll! Ich möchte ja auch so gerne nächstes Jahr nach Island. Aber ich bin immer noch so umschlüssig. Mit 13 ist man sicher schon ein etwas coolerer Reisebuddy als mit 6 oder gar 2 ;). Aber hach….vielleicht trotzdem. Über soviel Eis werden sicher auch die kleinen Jungs staunen. GlG, Nadine
Hallo Nadine,
Ich glaube auch dein Kleiner hätte dort viel Spaß! Man muss ja nicht gleich die ganze Insel umrunden und im Süden – wo es schon viele Wasserfälle gibt – bis rauf zu den Gletscherlagunen ist das Reisen auch ganz umkompliziert. Die Sommermonate wären da sicher toll! Ganz in der Nähe von Reykjavík gibt es die Geysire, Geothermalfelder und und und … Und wenn nicht in 2014 dann vielleicht ein Jahr später: Island läuft so schnell nicht davon :)
Sonnige Grüße
Jutta
Hallo Jutta,
danke für diesen spannenden Bericht. Bind leider erst jetzt dazu gekommen ihn zu lesen. Freu mich auf MEHR. Liebe Grüsse Tanja
Freu mich, dass er dir gefallen hat, liebe Tanja! Wünsche euch einen schönen Abend – hoffentlich ohne Sturm!
LG
Jutta
It’s good you share the adventure with your son – such experiences will make an impression for life. As an aside, what is the compensation in price for running over sheep? I like the photo of you holding the ice – superb! Hope you are enjoying your blog and sharing experiences…
Yes, they do Brian! Luciano really loves nature, hiking, being outside and exploring new things! I’m glad he shares this with me :)
Enjoy your weekend!
Jutta
Wunderschöne Bilder! Ich bin sehr auf Island im August gespannt!
Danke dir Manu! Freue mich selbst auch schon sehr auf nächsten August! Und wir sollten unbedingt ein paar Stunden in der Blauen Lagune einplanen, um dort so richtig schön zu relaxen :)
Lg
Jutta
Thank you Jutta. I do not understand all the text but i realy love your photos..
Wow, that’s a great compliment from a professional! Thanks a lot Ronni, I’m glad you like them!
Jutta
Wow Jutta, da käme ich mal mit Dir mal mit! ……… natürlich mit meiner gesamten Kameraausrüstung ;-)
Marcel, herzlich gern! Dann kann ich mir bei dir ein paar Tricks und Kniffe abschauen!
Sonnige Grüße
Jutta