Ein Haus mit wechselvoller Vergangenheit. Einst wohnte hier der Küster, dann diente es Seefahrern, wettergehärteten Fischern und gewieften Händlern als Herberge. Auch einem Kupferschmied gehörte das geduckte Gebäude mit der ockergelben Backsteinfassade und dem grün gestrichenen Giebel einmal. In vier Jahrhunderten wurde die Schwelle so tief ausgetreten, dass sie heute eins ist mit dem schön gekachelten Boden. Das Dach senkt sich unter der Last der Jahre. Würden wir den alten Mauern zuhören, sie flüsterten uns ihre Geschichten zu: von ehrbaren Bürgern, von jungen Bräuten und lachenden Kindern, von Tagedieben und Halunken. Heute betreibt Daniëlle an der Kerkstraat, der Kirchstraße, ihr Gewerbe.
Blau auf Weiß
Die zierliche Frau mit dem blond gewellten Bob hat ein gewinnendes Lächeln. Während sie über das denkmalgeschütze Haus plaudert, streicht sie schnell eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr und füllt kleine Gläser, die auf einem runden Tablett arrangiert sind. „Schnappspinneken“ nennen wir die zuhause.
„Das Gebäude wurde um 1650 erbaut und die Fliesen, die ihr dort drüben an der Wand seht, sind original Delft.“ Hinter mir typisch holländische Szenen mit Windmühlen, Bauernhöfen und Segelschiffen, die sich über die Breite der Wand zu einem großen Mosaik fügen. Blau auf Weiß, hier und da etwas abgeplatzt, insgesamt aber erstaunlich gut erhalten. Ich habe eine Schwäche für Blau. Für Keramik sowieso. „Delfts Blauw“, so der offizielle Name für das Steingut, war zwischen 1600 und 1800 extrem populär. Und das nicht nur in den Niederlanden. Noch heute zeugen Funde versunkener Schiffe, aus denen moderne Schatzsucher Kisten voller Kannen, Kacheln und Figuren bergen, vom florierenden Handel mit der Delfter Ware.
Bauernjungs und Strandspaziergang
Daniëlle handelt mit anderen Schätzen. Im Wijnhuis Texel, das sie zusammen mit ihrem Partner Arjen führt, gibt es Bitter, Liköre und verschiedene Jenever. Wie den „Strender Stropertje“, der dunkel in unseren Gläsern leuchtet und irgendwie nach Weihnachten duftet. Ein Kräuterbitter. Mild, cremig, nach eigenem Rezept auf Karamell, Zimt und Koriander gezogen und „erg populair“ auf Texel wie Daniëlle uns versichert. „Strender“ ist übrigens das hiesige Wort für Oosterender und „stropertje“ wird von „siroop“ (Sirup) abgeleitet. Wer kennt nicht die leckeren holländischen „Stroopwafels“?
Dann gibt es da noch die „Strandwandeling“ (Strandspaziergang) mit Rum und Apfelsine. Oder die „Boerenjongens“ (Bauernjungs), einen Jenever, der nach traditionellem Texeler Rezept hergestellt wird. Der Wacholderschnaps mit seinen 35% Alkoholgehalt, der erstmals im Flandern des 16. Jahrhunderts gebrannt wurde und als Großvaters des Gin gilt, ist eines der landestypischen Getränke in Belgien und den Niederlanden und hat sogar eine eigene Appellation d’Origine Contrôlée.* Ich bin beeindruckt, denke an den piksenden Walcholder im heimischen Venn und daran, dass die Beeren, die eigentlich gar keine sind, gut zwei Jahre bis zur Reife brauchen.
Unter Alchemisten
Das Ladenlokal ist klein, die Decke niedrig. Eine altmodische Leuchte hängt so tief, dass ich mich bücken muss. Längst nicht mehr mit Petroleum gefüllt, sondern elektrisch. Aber ihr Licht schimmert „ouderwets“ gedämpft. Über eine schmale Stiege geht es hinab in den Keller, der erst im vergangenen Jahrhundert entdeckt wurde. Die Wände sind rau, Regale biegen sich unter schlanken und bauchigen Flaschen aus Glas und Ton, unter den Tiegeln und Töpfen mit Kräutern und Beeren und einem eingelegten Krebs, von dem ich hoffe, dass er nicht zu den Zutaten gehört.
Daniëlle Vilten und Arjen Langedam haben die kleine Destille erst vor rund zwei Jahren übernommen. Liköre, Jenever, Kräuterbitter werden hier aber schon seit 1965 hergestellt. Von Hand, nach überlieferten Rezepturen und ausschließlich aus naturbelassenen Zutaten.
Zwischen den Apparaten und Flaschen stapeln sich kleine, gebundene Bücher, in denen die Zutaten, die exakten Mengen und Reifezeiten für die hochprozentigen Kreationen notiert werden. Ein Quäntchen Glück gehört beim Experimentieren dazu. „Und Glück hatten wir“, lacht Daniëlle. „Wir füllen es sogar in Flaschen ab.“ Auch „Liebe“ – „Liefde“ – ist im Wijnhuis Texel käuflich. Sie schmeckt nach Anis und Apfelsine.
„Nach einem Besuch bei uns haben Pechsträhnen ein Ende und mit der Einsamkeit ist es endgültig vorbei“, ist die moderne Alchimistin zuversichtlich. „Hier geht ein jeder mit Glück, Wohlstand oder Liebe zur Tür hinaus.“ Mir hat das „Stropertje“ den Kopf verdreht…
Let schoolmasters puzzle their brain, with grammar, and nonsense, and learning. Good liquor, I stoutly maintain, gives genius a better discerning. (Oliver Goldsmith)
© Text und Fotos: Jutta M. Ingala
Wer? Wo? Was?
Für viele ist es das schönste Dorf auf Texel, das älteste ist es ganz bestimmt: Oosterend, das einstige Seefahrer- und Walfängerdorf, dessen Name auf seine Lage, das östliche Ende der Insel nämlich, schließen lässt. Erkunden lässt sich der Ort wunderbar über die Leitjesroute, einem beschilderten Rundgang, der auch am Wijnhuis Oosterend (Kerkstraat 11, Di/Sa von 10.oo bis 17.oo Uhr, Verkostungen für kleine (!) Gruppen buchbar unter T 0031 222 318341) vorbeiführt. Weitere Informationen über Oosterend und die Insel Texel bietet die Website vom VVV Texel. Im Frühjahr 2015 ist der erste deutschsprachige, sehr informative Reiseführer über die Insel erschienen: „Insel Trip Texel“ von Ulrike Grafberger.
*Die Geschichte der Appellation d’Origine Contrôlée – kurz AOC – geht bis ins 15. Jahrhundert zurück und verlangt unter anderem, dass die Herstellung eines Produkts auf traditionelle Weise und in einer bestimmten geografischen Region erfolgt. Zutaten müssen aus dieser Region stammen. Eigenschaften des Produkts müssen annährend unverändert bleiben, seine Qualität kontrolliert hohen Standards genügen.
Zu meiner Reise nach Texel wurde ich vom VVV Texel eingeladen. Herzlichen Dank dafür!
Wirklich schön geschriebener Artikel und Bilder, die ich für wirklich inspirierend halte – vielen Dank!
Das macht mir wirklich Lust, mal wieder selbst an die Nordsee zu fahren – ein Ort, wo ich bis dato noch immer sehr viel inneren Frieden gefunden habe.
Lieben Dank! Ich glaube, es geht ganz vielen so: Das Meer, die Weite, die Ruhe … da kann man in sich horchen und Entspannung finden. Und Texel ist noch einmal ganz besonders schön! Sonnige Grüße, Jutta
Kleiner Lesehinweis für alle Texelfreunde, die sich für Archäologie interessieren:
http://www.texel-porsch.de/2016/04/archaeologischer-sensationsfund/
Hallo Jens, Danke für den Hinweis, sehr spannend! Der Link wäre auch passend unter meinem Beitrag über das Museum Kaap Skil gewesen : ) Sonnige Grüße, Jutta
Wahnsinnig toller Artikel! Ich liebe deine Texte
Merci du Liebe! Wünsche dir einen wunderbaren Abend, liebe Grüße, Jutta
Sollte ich mal nach Texel kommen, werde ich sicher Daniëlle in ihrem Laden besuchen. Nicht, um Liebe zu kaufen, aber um das eine oder andere zu probieren. Klingt sehr lecker. Die bemalten Kacheln habe ich auch in Gent im Café „Galgenhaus“ entdeckt (so ähnliche). Sehr hübsch.
Hallo Christina, auch ohne flaschenweise Liebe sehr empfehlenswert : ) Ich habe mir übrigens vom „Strender Stropertje“ etwas zum Verschenken mit heim genommen. Lokale Spezialitäten sind immer so nette Souvenirs! Die Fliesen trifft man wahrscheinlich noch an vielen Orten in Belgien („Galgenhaus“ klingt gleich so, als müsste ich da mal hin…) und Holland an, entweder original oder Originale neu verlegt. Auch in Privathäusern hier im Achterhoek – also in meiner Heimat – gibt es sie noch recht häufig. Und die Motive sind immer aus dem Alltag. Das finde ich so schön. Ich muss dir Texel wirklich an Herz legen. Man kommt da aus dem Entdecken gar nicht mehr heraus! Herzliche Grüße ins schöne Österreich, Jutta
Hallo, schöner Artikel! Das Weinhaus gehört bei uns zur Pflichtveranstaltung, wenn wir auf Texel sind. Auch ich finde, dass Oosterend ein traumhaft schönes Örtchen ist. Die Rotisserie ‚t Kerckeplein – mittlerweile Bistro …???… ist auch empfehlenswert!
Was mir noch fehlt ist der dortige Kirchenbesuch…
Hallo Sandra, ich finde faszinierend, wie viele Texel-Fans es doch gibt! Danke für deinen Tipp zum Bistro. Ich werde mal recherchieren für den nächsten Besuch : ) Die Kirche kenne ich übrigens auch noch nicht von innen. Es ist einfach unglaublich, was die Insel alles bietet. Selbst nach mehreren Besuchen sind noch längst nicht alle Ziele erkundet! Gründe genug, wieder hin zu fahren. Herzlichen Dank fürs Vorbeischauen, sonnige Grüße, Jutta
Hallo Jutta,
Dein Artikel und die Fotos sind wie eine Reise in ein anderes Jahrhundert. Ich finde es toll, wenn sich die Leute aus Texel das bewahren. Und sie scheinen sich es auch damit gut gehen zu lassen :)
Viele Grüße vom Flughafen Köln/Bonn auf den Weg nach Venedig
Winfried
Guten Morgen Winfried, bist du denn IMMER auf Reisen? : ) Lieben Dank, ja, Texel bewahrt sein Erbe, ist auf der anderen Seite aber super innovativ. Hier geben sich Alt und Neu die Hand. Man schafft offensichtlich eine schöne Balance zwischen Tradition und Fortschritt. Ich denke da zum Beispiel auch an die Salzlandwirtschaft auf der Insel. Es ist einfach ein vielgesichtiges, höchst spannendes Eiland! Ich wünsche dir eine wunderbare Zeit in der Lagunenstadt, Jutta
Grazie.
Oha, meine Gedanken waren schon abgeschweift! Klingt interessant. Schön geschrieben!
Hallo Ben, lieben Dank! Ja, ja, nichts Falsches denken :) Wünsche die ein schönes Wochenende, Jutta
Soooo schöne Fotos! Ich muß wohl unbedingt mal nach Oosterend. Und wenn es zu ungemütlich für einen Strand- oder Dünenspaziergang sein sollte, dann werde ich sicherlich das Wijnhuis aufsuchen. Ich liebe diese Orte, die Geschichte und Geschichten geradezu verströmen. Liebe Grüße, Sabine
Oosterend schmeckt lecker! Lieben Dank Sabine, das Wijnhuis ist wirklich urig und das Sammelsurium im Keller sehenswert. Übrigens ist es auch ein echter Weinkeller, denn Wein gibt es bei Danielle und Arjen auch zu kaufen. Ihre Spezialität sind allerdings die selbst hergestellten Liköre & Co. Hast du die Klöntür auf einem der Fotos entdeckt? Ich kann mir nur zu gut vorstellen wie der ein oder andere Nachbar früher den Kopf hindurchsteckte, um einen Plausch zu halten! Sonnige Grüße, Jutta
It is always so nice to read your posts Jutta. Have a nice day…
Good morning Ronni, it’s always good to see your comments here! Thank you for that! You also have a nice day, cheers, Jutta
Liebe Jutta,
den Laden fanden wir auch echt zauberhaft und die Verkostung, obwohl ich sowas nicht trinken mag, fand ich richtig schön. Besonders spannend war der Keller mit all seinen Schätzen. ;-)
Herzliche Grüße,
Claudia
Guten Morgen liebe Claudia, ja, ich kann mich erinnern. Ich mag ja sowohl die leicht süßlichen Liköre als auch die starken Kräuterbitter. Muss daran liegen, dass ich im Münsterland wohne: Beides ist hier ziemlich populär : ) Ich finde diese alten Gebäude ja unheimlich spannend und bilde mir dann immer ein, hinter den Mauern lägen noch ein paar Schätze verborgen! Liebe Grüße, Jutta
Jenever habe ich auch noch nie probiert. Ich könnte mir aber vorstellen, dass er mir schmecken würde, wenn er der Großvater des Gins ist. ;) Danke für den schönen Bericht über diese liebevoll geführte Destille!
Liebe Grüße.
Merci! Vom Jenever sagt man ja er sei wirklich „rau“, nicht so verfeinert. Aber „ursprünglich“ ist ja eigentlich gut. Ich muss mich irgendwann selbst davon überzeugen Wenn du einmal nach Texel fährst, schau im Wijnhuis vorbei! Gucken oder probieren: Beides ist dort schön : ) Liebe Grüße, Jutta
Je mehr ich bei Dir über Texel lese, desto größer wird meine Sehnsucht, einmal selbst dorthin zu reisen.
Guten Morgen Ulrike, und von Hamburg doch auch gar nicht so weit, oder? Texel hat so viele Gesichter. Irgendwie ist auch spürbar, dass man gemeinschaftlich FÜR die Insel arbeitet. Naturschutz steht ganz oben auf der Agenda. Aber es ist eben auch eine Insel, die von der Landwirtschaft lebt. Man versucht beides in Einklang zu bringen. Die Insel mit ihren vielen hübschen, alten Dörfern ist sehr gepflegt, die Strände sind sehr sauber. Tourismus ist wichtig, Neue Hotelbetten gibt es aber nicht. Nur dann, wenn ein altes Hotel oder Gästehaus schließt und „Betten“ frei werden, kann jemand eine neue Lizenz erwerben. Darum gibt es auch keine wuchernden Hotelbauten. Texel ist so eine kleine Bilderbuchinsel. Sicher nicht ganz ohne Fehler, aber schon mega sympathisch! Und die Liköre aus dem Wijnhuis Oosterend sind die besten Souvenirs überhaupt! Liebe Grüße, Jutta
Liebe Jutta, du bist eine gute Promoterin der Insel! Mal sehen. Ich müsste mal gucken, wie ich da mit Öffis hinkomme. Du siehst: ich bin schon fast auf dem Weg ;)
Danke dir! Auf der Insel kommt man gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurecht oder mit dem FAHRRAD! Das ist toll. Das Radwegenetz ist so gut! Von Hamburg kämst du wahrscheinlich mit der Bahn nach Den Helder. Dort legen die Fähren nach Texel ab. Bin gespannt, liebe Grüße, Jutta
AOC hab ich noch nie gehört. Aber es klingt wie eine sehr, sehr moderne Form der Lebensmittelproduktion aus Berlin Mitte.
Nicht spotten Stefanie! Gibt es seit 1400. Aber Jenever ist nicht mein Ding :) Sonnige Grüße, Jutta
Eigentlich wollte ich das mit bewunderndem Unterton gesagt haben ;-)
Ich kenne das auch nur vage vom Wein und war überrascht, dass Bezeichnung und Vorschriften schon seit 1411 existieren. Für Roquefort galten sie zuerst! Sonnige Grüße, Jutta
Der Roquefort ist also quasi der Vorgänger der EU-Gurke. Sachen gibts…
Hallo Jutta,
das klingt aber spannend! Ich war noch nie so richtig in Oosterend, aber schon oft auf Texel.Herrlich dort. Haben die vom Wijnhuis auch eine Website?
Viele Grüße von Heike
Hallo Heike, ein Besuch lohnt sich schon allein wegen der kleinen Likör-Manufaktur. Man kann sich in kleinen (!) Gruppen auch zu einer Verkostung anmelden (T 0031 222 318341). Ich fand es spannend im alten, krummen Keller in die Töpfe mit Zutaten zu lugen und ein wenig über die Likörherstellung zu erfahren. Wobei ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich das gar nicht mehr wiedergeben kann. Gestern habe ich via Facebook einen weiteren Tipp zu Oosterend bekommen: Im „Strends End“ soll es den besten Pfannkuchen überhaupt geben! Sonnige Grüße, Jutta
Na, bei der Headline habe ich aber an etwas ganz anderes gedacht! Hört sich lecker an. Gibt es kein Foto vom Krebs?
Gruß
Andy
Hi Andreas, passt aber! Zwei der Spezialitäten habe ich probiert: Das „Strender Stropertje“ – ich behaupte, dass der die Damenwelt besonders anspricht – und einen stärkeren Kräuter namens „Gortbuker“. Hat mich an einen hiesigen Bitter, der auch in kleinen Mengen handwerklich hergestellt wird erinnert. Lecker, aber wohl eher für die echten Bitter-Liebhaber. Tja, den eingelegten Krebs schiebe ich vielleicht noch nach. Sieht etwas sonderbar aus… Sonnige Grüße, Jutta