„Kunst? Kunst darf man NIEMALS studieren!“ Weil Kunst brotlos ist? Eigentlich müsste er es besser wissen. Wim van Krimpen ist Galerist in Amsterdam, lebt von der Kunst und für die Kunst. Kennt sich aus in der Welt der alten und neuen Meister. Er war Interims-Direktor der Kunsthal Rotterdam, dann Direktor des Fries Museum in Leeuwarden und leitete schließlich die Geschicke des Gemeentemuseum Den Haag. Ganze acht Jahre lang. Eindrucksvolle Stationen.
Der Mann mit den eigenwillig bunten Knöpfen am klassischen Sakko, der bei seiner Rede den Kopf leicht in den Nacken legt, ganz so, als würde ihm das einen besseren Blick auf seine Umgebung verschaffen, der jeden Satz mit einer energischen Geste unterstreicht, diesem Mann ist die Gründung des Museums zu verdanken, das heute zur Vernissage geladen hat.
Kunst ist nur für die da, die sich interessieren. Wer das nicht will, hat Pech gehabt. (
Es ist später Samstagnachmittag. Schauplatz ist die Villa Mondriaan im niederländischen Winterswijk. „Uit de verf“ oder „Farbe bekennen“ lautet der Titel der neuen Ausstellung. Zeitgenössische Künstler neben Mondriaan. Piet Mondriaan, der hier am Zonnebrink 4, einen Teil seiner Jugend verbrachte, der vom Vater Piet senior und seinem Onkel Frits in der Landschaftsmalerei unterrichtet wurde, der seine Sujets schließlich immer weiter abstrahierte und zum wichtigsten Vertreter der Konkreten Kunst wurde.
Van Krimpen überlässt die Bühne schließlich Arie Schippers, einem der ausstellenden Künstler. Schippers ist schlank, energetisch, mit auffälliger Zahnlücke. Eine ruhelose Natur. „Wenn Wim dich anruft, sagst du Ja!“
Er erzählt von der Zeit, als er mit Leinwand und Palette durch Amsterdam zog, Alltagsszenen in ein, zwei Stunden festhielt. Fertig. Keine Retuschen, keine nachträgliche Feinarbeit. „Plats en handeling“, „Ort und Handlung“, eine Formel, an der er lange festhielt. Seine Amsterdamer Impressionen werden in der Villa neben Frühwerken Mondriaans, die ebenfalls in der Grachtenstadt entstanden sind, gezeigt. Auf mich wirken Schippers kleine Gemälde befremdlich: der Bus, der Kiosk mit Plastikstühlen oder der Pick-up wollen nicht so richtig zum Medium Öl auf Leinwand passen.
Ein Spiel mit ernsten Problemen. Das ist Kunst. (
Spontan begeistert bin ich von den Arbeiten des jungen Niederländers Dave de Leeuw. In Turnschuhen und Jeans, mit Hoodie und Stoppelbart mischt er sich unters Publikum, wirkt wie ein hipper Streetartist, der gerade erst die Spraydose aus der Hand gelegt hat. De Leeuw zeigt in der Villa tatsächlich ein Mural, das er im Übergang zwischen zwei Gebäudetrakten auf den rauen Putz gemalt hat. Eine Frau mit nacktem Oberkörper, die einen toten Fisch in den Händen trägt. Vom Fisch trieft Wasser. Oder ist es Blut? Oder einfach die Farbe, die nicht schnell genug trocknete? Abstoßend und anziehend zugleich.
Im neuen Pavillon eine Graphitzeichnung auf einer meterlangen Papierbahn, ebenfalls von de Leeuw. Das Motiv wieder eine Frau: mit morbiden Zügen, halb von der Erde verschlungen. Zerbrechlich, vergänglich… die Papierbahn ist grob mit Nägeln fixiert. „Meine Bilder erzählen von einer verlassenen Menschheit“, sagt de Leeuw. „Sie zeigen ihre raue Natur. Echt oder unecht, schön oder hässlich, Realität oder Fiktion, alles ist miteinander verbunden.“
Kunst ist nicht Luxus, sondern Notwendigkeit. (Lyonel Feininger)
Während ich mich nach dem jüngsten Zukauf des Museums umsehe, Mondriaans „Polder mit vertäutem Boot bei Amsterdam“, das 1899/1900 entstanden ist und im Frühjahr bei Christie’s ersteigert wurde, komme ich mit Gerard ten Barge und seiner Frau Ria ins Gespräch. Gerard ist einer von über 70 ehrenamtlichen Helfern, ohne die der Museumsbetrieb in Winterswijk nicht möglich wäre.
Der Mann mit dem buschigen Schnurrbart erzählt von seiner Motivation und seinem jüngsten Projekt hier in der Villa: dem Kreativatelier für Kinder. Zusammen steigen wir die ausgetretenen Stufen des wunderschönen Treppenhauses mit den bunt gestrichenen Wänden, die mich bei jedem Besuch faszinieren, hinauf. Drei Stockwerke sind es bis zum Dachboden. Das Gebälk ist in hellem Grau gestrichen, bunte Papierfächer schaukeln an einer Schnur, an einer Yves-Klein-blauen Wand reflektieren nostalgische Spiegel das Ambiente. Gerard zeigt mir das originelle Regal, das er gebaut hat und das mit exakt 109 Schubladen bestückt ist: kunterbunt, alt und neu, zusammengetragen von Besuchern, Funde vom Flohmarkt. Gemacht für Schätze und Schatzsucher.
Wir sprechen über das Museum, über Piet und die Ehrenamtlichen. Ich verspreche Fotos zu schicken…
Der Herbst ist der Frühling des Winters. (Henri de Toulouse-Lautrec)
Auf dem Heimweg fällt mir ein, dass ich den neuen Mondriaan gar nicht gesehen habe. Ich habe den Hauptdarsteller tatsächlich verpasst. Wie gut, dass die Villa nur einen Katzensprung von zuhause entfernt ist. Und das Bild einen festen Platz im Museum hat. Auf bald also!
© Text und Fotos: Jutta M. Ingala
Wer? Wo? Was?
Villa Mondriaan | Zonnebrink 4 | 7101 NC Winterswijk | Niederlande | T 0031 (0) 543 515 400 | www.villamondriaan.nl | info@villamondriaan.nl
Winterswijk ist übrigens auch Schauplatz meines Buches „52 kleine & große Eskapaden im Osten der Niederlande“. Kleine Auszeiten von Frühjahr bis Winter. Entspannt in Wanderschuhen, per Rad oder im Kanu unterwegs bei unseren niederländischen Nachbarn!
Travelling in style: Wohin mit dem Foto-Equipment bei offiziellen Anlässen wie einer Vernissage? Wohin mit Notizbuch, Stift und anderen Essentials? Seit einigen Wochen ist die elegante, dabei enorm vielseitige und robuste my Cloud Smallpack von Moleskine mein ständiger Begleiter.
Hallo Jutta,
ein interessanter Artikel zu einem interessanten Museum. Das ein oder andere Bild ist sicher etwas gewöhnungsbedürftig, aber das ist nun mal Kunst. Und die Erfahrung haben sicher die meisten schon gemacht, daß wenn man Bilder/Werke „face-to-face“ betrachtet es doch anders ist als die besten Fotos -wie Deine- vermitteln können. Und 70 Ehrenamtliche ….. das ist echt eine Hausnummer!
Viele Grüße
Winfried
PS: Ich bin schon auf Deinen hoffentlich kommenden Blogbeitrag zu den Färöer-Inseln gespannt :)
Hallo Winfried, ja, der eine bricht in Begeisterungsstürme aus, der andere zuckt mit den Schultern, wieder andere schütteln sich und finden es ganz gruselig. Eigentlich gut, wenn Kunst polarisiert! Und du hast recht: Fotos können die Wirkung des Originals oft nicht ansatzweise vermitteln! Ja, das sind die Holländer: die bekommen engagierte Helfer zusammen! Und es sind ganz tolle Leute. Ich habe während meiner diverse Besuche im Museum schon einige der Ehrenamtlichen kennengelernt und war immer wieder fasziniert von ihren persönlichen Geschichten oder ihrer Motivation, sich für das Museum einzusetzen!
Leider habe ich derzeit sooo wenig Zeit und muss noch sooo viele Berichte aufarbeiten. Es kommt, es kommt…
Lieben dank fürs Vorbeischauen und herzliche Grüße, Jutta
Toll, wieder was von dir zu lesen.
Das Zitat ist super und sehr, sehr passend!
Hi Neni, ist auch schön, von dir hier zu lesen! Meinst du das von Lüpertz? Das kann ich dick unterstreichen! So ganz ohne Kunst verkümmert die Seele. Sonnige Grüße – auch wenn es gerade Bindfäden regnet! Jutta
Hallo Jutta,
ich bin eine passionierte Museumsgängerin und oft in den kleineren Museen der Nation unterwegs. Für meinen Geschmack ist man dort flexibler und viel mutiger. Es gibt häufiger Neues und vor allem tolle Entdeckungen. Kunst und Künstler, die man in den großen Museen nicht sieht, weil sie (noch) keine Publikumsmagneten sind. Plus: Es ist viel intimer. Dave de Leeuw gefällt mir nach dem was du zeigst und schreibst spontan gut!
Schöne Grüße
Karin
Hallo Karin, herzlichen Dank fürs Vorbeischauen! Ja, ich sehe das genauso: Man ist in den kleinen Häusern einfach freier, kann experimenteller arbeiten. Natürlich ist man auch dort in gewisser Weise auf einen Publikumserfolg angewiesen, denn ganz ohne Einnahmen funktioniert ja auch ein kleiner Museumsbetrieb nicht. Vielleicht schaffst du es ja mal bis in den Achterhoek in die Villa Mondriaan? Ich vermute, es würde dir dort gefallen! Viele Grüße, Jutta
Fantastisch bericht en prachtige foto’s! Top : )
Dankjewel Rob! Ben jij uit de buurt? Groetjes, Jutta
Uit Aalten!
Hallo Jutta,
die Bilder von de Leeuw finde ich krass, aber da steckt viel drin. Überhaupt scheint das Museum ein Ort voller Gegensätze zu sein. Schade, von hier ist es nicht einfach zu erreichen. Deine Berichte darüber lese ich darum umso lieber.
Ganz viele Grüße, Anne
Hallo Anne, ja, sie wirken abstoßend, gleichzeitig faszinieren sie mich. Als ich das Mural der Frau mit der orangefarbenen Kopfbedeckung sah, war ich gleich gefesselt. Ich mag diese Rauheit. Eines der Ziele des Museums ist übrigens die Förderung junger Talente: Nachwuchskünstlern eine Plattform verleihen. Als Gegenpol zu den frühen Werken Mondriaans. Ich finde das bisher ziemlich gelungen. Schön, dass du hier mit liest. Wenn sich doch einmal die Gelegenheit ergibt, leg eine Stopp in Winterswijk ein, zum Beispiel auf der Durchreise nach Amsterdam : )
Toller Beitrag. Danke!
Merci Inge, das freut mich sehr! Sonnige Grüße, Jutta
Bunt scheint es dort zuzugehen – gut für de #Achterhoek. Und ein wenig verwirrend auch: so soll Kunst sein! Und dann noch ein Kreativatelier für Kinder: Du präsentierst uns das Museum als einen Ort zum Wundern. Goed zo!
Sonnige Grüße, Sabine
Also die Villa treibt es wirklich bunt! Und lockt mit wechselnden und wirklich spannenden Ausstellung immer wieder ins kleine Winterswijk. Ich kann mir gut vorstellen, dass bspw. die Werke von Dave de Leeuw polarisieren. Mich hat er mir seiner Kunst jedoch total angesprochen. Ja, die Villa ist ein WUNDERbarer Ort! Sonnige Grüße, liebe Sabine!
Das Zitat von Lüpertz ist ja toll. Und Deine Fotos beweisen seine Richtigkeit. Die Kunst und die Natur sind für mich immer wie Spielplätze für Erwachsene. Die reine Freude. Liebe Grüße, Stefanie
Hallo Stefanie, das ist stark, nicht wahr? Ich brauche auch beides, um im Gleichgewicht zu bleiben: Und ich könnte nicht sagen, ob das eine oder das andere wichtiger für mich ist. Vermutlich halten sie sich die Waage! Herzliche Grüße, Jutta
Es vermischt sich auch, finde ich. Man findet ja Beides in Beidem.
Stimmt! Dazu habe ich noch ein schönes Zitat von Picasso gefunden: „Ich arbeite nicht nach der Natur, sondern wie die Natur.“
Das scheint eine sehr interessante Ausstellung in einem wunderbaren alten Gebäude zu sein. Allein das Treppenhaus mit den abgewetzten weißen Dielen und auch das Gebälk. Die Arbeiten von dem Dave de Leeuw sind wirklich sehr eindrücklich. Vielen Dank für den informativen Bericht.
Liebe Grüße. :)
Freut mich, dass er dir gefällt! Dieser hübsche, kleine Ort vereint so viel Schönes und auch Gegensätzliches: Es ist eine wahre Freude, dort auf Entdeckungsreise zu gehen. Die Ausstellungen sind wirklich spannend und all das passiert in einer winzig kleinen Stadt auf dem Lande, Meine Lieblingsnachbarn, die Holländer, die habens einfach drauf : ) Liebe Grüße, Jutta
Hallo Jutta,
das sieht alles so unwirklich aus: die Spiegel wie bei Alice in Wonderland, der bunte Papier-Pompom, die bunten Wände und dieses krasse Bild von der Frau mit dem Fisch. Scheint ein interessantes Museum zu sein!?
Grüße
Ellen
Guten Morgen Ellen, ja, das ist es! Und es ist eines der kleinen, dynamischen Museen, die sich immer wieder neu und völlig anders präsentieren! Wer im Achterhoek unterwegs ist, sollte unbedingt einmal einen Abstecher zur Villa Mondriaan machen. Klein, aber super spannend! Und ja, ein wenig surreal : ) Herzlichen Dank fürs Vorbeischauen, Jutta
Prachtig bericht!
Hartelijk dank Marijke! Groetjes, Jutta