Im Hortus Botanicus von Leiden … „Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage, denn er fordert das, was in unserer Gesellschaft am kostbarsten geworden ist: Zeit, Zuwendung und Raum.“ Dieter Kienast | … enthält Werbelink!

Leiden, historische Ikone der Provinz Südholland, Stadt Rembrandts und der poetischen Mauergedichte. Hier stiftete Wilhelm von Oranien 1575 die erste Universität der Niederlande, die sich mit bedeutenden Gelehrten wie Hugo Grotius und Joseph Scaliger, Jakob Hermanszoon und Justus Lipsius schnell zum wissenschaftlichen Zentrum des Landes entwickelte. Zum „Praesidium Libertatis“ – einem Bollwerk der Freiheit –, das vor allem auf dem Gebiet der Physik Nobelpreisträger wie Heike Kamerlingh Onnes, Pionier der Tieftemperaturphysik und Entdecker der Supraleitung, oder auch Pieter Zeeman und Hendrik Antoon Lorentz hervorbrachte. In den 1920er und 1930er Jahren wirkten etwa Albert Einstein, Paul Ehrenfest und Johan Huizinga in Leiden.


Liefhebbers …
Ebenso rasch fand der bald zur Universität gehörende botanische Garten Beachtung und avancierte zum wichtigen Treffpunkt in einem Netzwerk von Blumenliebhabern, den so genannten „liefhebbers“, die durch gehobenen gesellschaftlichen Rang, humanistische Bildung und Wertschätzung für Pflanzen miteinander verbunden waren. Den Grundstein dafür legte der Flame Carolus Clusius, der 1593 zum Professor für Botanik nach Leiden berufen wurde. Clusius, zuvor am Heilkräutergarten Kaiser Maximilians II. in Wien tätig, wo er ab 1574 in großem Stil Tulpen kultiviert hatte, legte im Jahr nach seiner Ankunft in Leiden den botanischen Garten an. Er ist der älteste in den Niederlanden. Etwa 700 Pflanzensorten und zahlreiche Variationen – darunter gut 200 bekannte Heilpflanzen – waren es im Jahr 1594. Heute können Besucher rund 20.000 faszinierende, aber auch unscheinbare Sorten in den verschiedenen Gärten und Gewächshäusern des botanischen Gartens bewundern.


Tulpenmanie
Noch immer nehmen die Tulpen, die bei Botanikern wie Clusius seit ihrer Einführung in Westeuropa eine besondere Leidenschaft geweckt hatten, eine Sonderstellung im Hortus ein. Ihre leuchtenden Farben, ihre Wandelbarkeit und Ästhetik faszinierten Züchter und Liebhaber, führten zu Begehrlichkeiten, eigenen Vasenkreationen und immer höheren Preisen für Tulpenzwiebeln. Knollen wurden zum Spekulationsobjekt. Im Jahr 1637 kulminierte der Hype in der so genannten „tulpengekte“ – dem Tulpenwahn –, als für eine Handvoll unansehnlich brauner Zwiebeln der Sorten „Viceroy“ oder „Semper Augustus“ das Äquivalent eines vornehmen Grachtenhauses gezahlt wurde. Dann platzte die Blase.
Geblieben ist die Faszination, die Liebe zur Tulpe. Heute ist sie eine der Ikonen der Niederlande. Gefüllt, geflammt, mit fransigen Blütenblättern. Fantasievolle Züchtungen stehen hoch im Kurs. Um die zwei Milliarden Tulpen sollen jährlich in den Niederlanden für den Handel erblühen.


Zeitreise
Es sind die historischen Tulpen, die im Hortus Botanicus im Mittelpunkt stehen. Im „Bollenbak“ – der Zwiebelkiste – finden sich Besucher auf einer Zeitreise wieder und erfahren, wie sich moderne Sorten aus immer neuen Kreuzungen entwickelt haben. Im Frühling wiegen sich die alten Sorten auf zarten Stängeln in den Freilandbeeten. Darunter die nach Clusius benannte „Tulipa clusiana“ mit spitzen, weiß-purpurnen Blütenblättern. Daneben Schachblumen, Schneeglöckchen und Hyazinthen. Seltene Sorten, manche vom Aussterben bedroht.
Während der jährlichen Blumenbörse präsentieren Züchter und Vereine ihre schönsten Geschöpfe im Hortus. Gelegenheit zum Schauen, Fachsimpeln, Kaufen. Wer den Termin verpasst, findet immer auch ein kleines Angebot an Setzlingen, Samen und Knollen im winzigen Laden beim Ticketverkauf. Er liegt im Erdgeschoss eines der monumentalen Gewächshäuser, wo regelmäßig auch Vorträge gehalten werden. Auf der Website werden bevorstehende Veranstaltungen angekündigt.



Gewächshäuser
Durch die Gewächshäuser führt ein Labyrinth aus schmalen Stegen über verschiedene Ebenen. Wie Blumenkästen am heimischen Balkon hängen hier Schaukästen an den Geländern. Darin Objekte wie petrifizierter Ginkgo, Kapseln der Araukarie und viel botanisches Wissen. Im wüstenwarmen Klima unter Glas gedeihen bizarre Kakteenarten neben dickfleischigen Sukkulenten. Einige Pflanzen tragen weißen Pelz zur Schau, andere balancieren winzige Tröpfchen – klar wie Tau – auf krankenartigen Rispen und fleischfressende Kannenpflanzen locken Insekten. Pflanzen in Gondeln hängen über den Stegen und den Köpfen der Besucher.
Im Gewächshaus nebenan ist es tropisch schwül. Dort wachsen Bananenbäume bis unters Dach, Seerosen – darunter auch die Riesenseerose Victoria Regia – breiten sich in verwunschenen Teichen aus, Schmetterlinge tänzeln in der feuchten Luft. Auch ein Titanwurz wird in den Gewächshäusern kultiviert. Die aus West-Sumatra stammende Pflanze blüht nur alle zwei bis drei Jahre für einen Tag, manchmal zwei. Ihre riesenhafte Blüte produziert Wärme und „duftet“ nach Aas, womit sie in der Natur Käfer anlockt.



Die Unscheinbaren
Mehr als einhundert historische Bäume wachsen im Hortus, darunter ein Goldregen, der bereits 1601 gepflanzt wurde und Gehölze, die der bayerische Arzt und Naturforscher Philipp Franz Balthasar Siebold von seinen langjährigen Japanaufenthalten mitgebracht hatte.


Andere Gewächse findet nur, wer den Blick auf den Boden richtet: winzige Mauerblümchen, Duftendes zwischen Fugen. Unkraut, das keines ist und dem Besucher einen ganz neuen Blickwinkel abgewinnt.
Ab 2016 war der Botanische Garten Teil des europäischen Horizont-Projekts „Big Picnic“. 19 Einrichtungen in 14 Ländern beschäftigten sich auf wissenschaftlicher Basis unter anderem mit dem Thema Ernährungssicherheit. Im Rahmen von „Big Picnic“ entwickelte der Kulinarik-Journalist Onno Kleyn etwa Rezepte mit Kräutern, die im Hortus wachsen, auch Suppenrezepte, die an die Gemüsegärten im Hortus anknüpfen.
Dem „Smaak van de Hortus“ – dem Geschmack des Gartens – können Besucher auch im angeschlossenen Hortus Café nachspüren. Bei gutem Wetter hinter alten, weinumrankten Mauern auf der Terrasse beim Gewächshaus oder aber drinnen, umgeben von Grün. Serviert werden einfache, kleine Gerichte aus allem, was der eigene Garten und die Felder von Landwirten aus der Region gerade hergeben.



© Text, Fotos: Jutta M. Ingala
PRAKTISCHE INFO
Hortus Botanicus
Rapenburg 73
2311 GJ Leiden
Niederlande
www.hortusleiden.nl
Beim VVV gibt es einen sehr nützlichen Mini-Stadtplan, der in wirklich jede Tasche passt. Interaktiv: Mit der App Leiden Discoveries die Stadt durchstreifen und den faszinierenden Geschichten hinter jenen Orten nachspüren, wo außergewöhnliche und wichtige Entdeckungen gemacht wurden. Auch der Hortus Botanicus liegt auf der Route.

Wer mit dem Zug anreist, übernachtet komfortabel und zentral im Fletcher Wellness Hotel. Direkt am Bahnhof, trotzdem ausgesprochen ruhig und mit fantastischem Blick über Leiden und sogar bis an die Nordsee. Die nähere Umgebung lässt sich bestens mit dem Fahrrad erkunden. Für längere Strecken empfiehlt sich ein Pkw, buchbar etwa über www.mietwagen-check.de
Herzlichen Dank an die Teams von Streek van Verrassingen, Hortus Botanicus sowie LEIDEN&Partners die zu dem Besuch eingeladen haben.
War schon lange nicht hier, schön;)
Taylan
Herzlichen Dank!
So viel/e Geschichte/n in dem Artikel! Ich bin eine große Gartenliebhaberin, kannte den botanischen Garten von Leiden aber gar nicht. Überhaupt hatte ich die Stadt Leiden bisher nicht so richtig als Reiseziel im Blick. Habe mich auch gleich einmal zu den „Mauergedichten“ durchgeklickt. So schön! Freue mich sehr über die „Entdeckung“ und schicke liebe Grüße
Svenja
Hallo, liebe Svenja, ja, es sind die großen Städte, die man meist im Blick hat, dabei sind die etwas kleineren oft viel komfortabler zu entdecken und stehen den anderen kulturell, architektonisch oder in puncto Lebensart in nichts nach. Schau dir einmal die verschiedenen Routen auf der App an: Da kannst du dich so wunderbar durch die Stadt führen lassen und entdeckst ganz nebenbei … links und rechts … die wunderbaren Mauergedichte! Sonnige Grüße, Jutta
Hallo Jutta,
schön, daß Du mit Deinem Blog wieder da bist. In Leiden war ich einmal vor 2 1/2 Jahren für einen halben Tag, leider aber nicht in dem Hortus Botanicus. Wenn ich nochmals nach Leiden komme weiß ich, was ich nachzuholen habe. In der Pieterskerk, die ja nur 200 Meter entfernt liegt, war ich und hätte ich von diesem schönen Botanischen Garten gewußt wäre ich sicher auf einen Sprung rübergegangen. Dann halt das nächste Mal!
Viele Grüße
Winfried
Hallo, lieber Winfried, da musst du aber unbedingt noch einmal zurück! Im Hortus kannst du einen ganzen Tag verbringen, zwischen den Gärten und den Gewächshäusern wandeln, dich ins Café setzt und ein paar „lekkernijen“ naschen und dich einfach berauschen lassen von all dem Grün! Bleib gespannt … es folgen weitere Geschichten aus Leiden. Ganz liebe Grüße, Jutta